Ein hinreissender Abend in der irischen Bar, ein leichter Kater am Morgen danach und nach der Dusche …

… kommt der Moment, da die Gewissheit unverrückbar wird: das Portemonnaie ist weg. Definitiv. Verloren gegangen oder gestohlen worden. Am Abend in der Bar in Dingle war es noch da. Schliesslich habe ich das Bier bezahlt. In der Bar in Dingle, Irland, ganz unten im Südwesten, wo zwei Musiker so richtig – aber wirklich richtig! – losgelegt haben.
Nun ist es aber weg, das Portemonnaie, und im Kopf läuft der Film ab: Karten sperren, Ersatz für ID beantragen und all das Zeugs. Zuerst – wie sagt man hier dem «Portemonnaie»? Ach ja: «Wallet».
Start in der Bar: «Hat hier gestern Abend jemand zufälligerweise ein Wallet gefunden?» Nein, sagt der Mann hinter dem Tresen, niemand hat ein Wallet gefunden. Dann sucht er in jeder Schublade.
Nun halt zur Polizei. Den Verlust amtlich bestätigen. Die Strasse lang runter, bei der Kreuzung nach links, später über den Bach, wieder nach links, durch den Torbogen, den Innenhof durchqueren, diesen auf der linken Seite verlassen, nochmals ein Torbogen, rechts eine Treppe hinauf ¬ – dort ist der Posten. Die Tür ist offen, im Vorraum bewegt sich nichts, im Büro hinter der Milchglasscheibe auch nicht. Eine lange Zeit lang ist Ruhe. Meine Rufe nutzlos.
Dann ein Schatten. Das Schalterfenster bewegt sich. Ein müder Polizist macht auf. Er schaut mich an. Ich will die Sache mit dem Wallet erklären, doch er hört nicht zu. Scheint mir. Er fixiert mich nur. Ein zweiter Polizist tritt ein. Ein dritter. Und dann noch einer, wenn ich mich richtig erinnere. Ich könnte ihnen irgendwas erzählen, dünkt mich. Sie hören gar nicht hin.
Der müde Polizist, der nun gar nicht mehr so müde zu sein scheint, langt hinter sich und schiebt mein Wallet über den Tresen. Es ist völlig durchnässt. Wie ein nasser Waschlappen. Ekelhaft zum Anfassen.
Es folgt nun nicht etwa ein administrativer Akt auf dem Polizeiposten von Dingle. Kein Formular. Keine Unterschrift. Keingarnichts. Nicht einmal ein Abgleich meines Gesichts mit dem Bild auf der Identitätskarte. Nur der Satz: «Hat heute Nacht jemand auf den Fenstersims gelegt.» (Englisch natürlich.) Und dann noch: «Sorry, es hat die ganze Nacht geregnet.» Das war’s dann schon.
Alles ist noch drin: Die Karten, der Führerschein, die Schweizer Banknoten … ! Was für ein ehrlicher Finder. Ehrlich? Nein, nicht ehrlich. Gewissenhaft. Er – vielleicht war’s eine sie – hat bei Sturm und Regen die Höhe des ihm zustehenden Finderlohns berechnet und muss auf eine Summe gekommen sein, die ziemlich genau dem gesamten Euro-Inhalt des Wallet entsprochen hat. Das hat die Person dann an sich genommen. Doch: Einen Zehn-Euroschein steckte sie wieder ins Wallet, bevor sie es auf den Fenstersims des Polizeipostens legte. Falls der Besitzer einen Schnaps danach bräuchte.







