Petr nimmt mich mit ins Boot

Spur durch Deutschland, Nürnberg – Erlangen, 14. Juli 2020. Mit der Zeit wird der Weg dem Fluss Regnitz so langweilig, dass ich erwäge, den Solarberg zu besteigen. Unversehens stehe ich am Rhein-Main-Donau-Kanal. Kein Frachter weit und breit – nur ein Boot. Ich fotografiere es und das hat unerwartete Folgen.

Petr fährt mit dem Boot zwei Wochen in den Urlaub

An den Menschenrechtssäulen des Germanischen Nationalmuseums vorbei führt mein Weg aus der Stadt Nürnberg hinaus, dann über einen Superlativ, nämlich über die älteste freischwebende Hängebrücke Deutschlands, den Kettensteg, und ich stehe an der Regnitz. Sie hat Nürnberg auch grad verlassen und mäandert nordwärts, ich folge ihrem Lauf, weil ein Pfad ihrem Ufer entlangführt, erst schmal, dann breiter, ein Radweg halt.

Strasse der Menschenrechte in Nürnberg

Es fahren viele Leute durch, sportliche und solche, die zur Arbeit fahren. Sie schlängeln sich an Fussgängern, die immer weniger werden, je weiter ich mich von der Stadt entferne, vorbei. Hündeler und Hündelerinnen tun ihre Pflicht mit ihren Tieren – und Joggerinnen und Jogger. Was da gejoggt wird! Und geradelt, mir wird fast etwas schwindlig, so hektisch geht das zu und her. Eine Joggerin hält an und fragt, ob das ein Pilgerweg sei. Nicht das ich wüsste, sage ich. Wegen meinem Rucksack ist sie auf die Idee gekommen, sie habe schon mal jemanden mit einem Rucksack durchgehen sehen.

Manchmal modert sie ein bisschen, die Regnitz

Diese Kilometer werden nicht in die spannendsten Etappen meiner Wanderung eingehen, denke ich. Grüner Fluss, wenig Strömung, etwas modriger Geruch, hohe Bäume, Dickicht, flacher Veloweg. Irgendwann wandere ich an einem Friedhof vorbei, muss anschliessend in eine Ortschaft namens Schniegling hinaufsteigen, wo ich ein Schorle trinke, dann wieder ein Friedhof, gefolgt von einer ziemlich intensiven Kläranlage. Wie sich deren Gestank etwas verzogen hat, setze ich mich auf eine Bank, stelle fest, dass ich achtlos an Fürth vorbeigegangen bin und lege mich zu einem recht ausgedehnten Mittagsschlaf nieder. Alles etwas öde hier.

Solarberg: Panels auf der Abfalldeponie von Fürth

Es taucht der «Solarberg» auf, eine beachtliche und markante Erhebung in der flachen Landschaft. Der Berg ist auf der einen Seite mit Solarpanels belegt, was ihm wohl den Namen gegeben hat. Daneben – sehe ich auf der App — fliesst der Rhein-Main-Donaukanal, von dem mir ein holländischer Schiffer einmal erzählt hat, er sei einer der langweiligsten Wasserwege Europas. Ich biege ab, die Sonne brennt recht heiss, der Solarberg wirkt etwas ungemütlich und ein Mann neben dem orangen LKW eines staatlichen Grünflächenordnungsdienstes fragt mich, ob ich des Lesens unkundig sei: Man könne nicht hinauf auf den Berg und Rauchen sei wegen Explosionsgefahr verboten. Als ich ihm sage, dass ich nicht rauche, macht er mir klar, dass dieser Berg die alte Abfalldeponie von Fürth sei. Vor zehn Jahren versiegelt.

Das Main-Donau-Kanal-Viadukt bei Flexdorf

Den Main-Donau-Kanal sehe ich nirgends. Vor mir eine mächtige Brücke über ein kleines Tal – weder Auto- noch Eisenbahnbrücke. Das ist keine Brücke, es ist ein Viadukt. Das Wasser fliesst übers Tal! Ich steige hoch, wieder wird mit etwas schwindlig, nicht wegen der Höhe, aber weil mich die Vorstellung erschreckt, dass hier ein Kanal, durch den hundertzwanzig Meter lange Frachtkähne fahren, über ein Tal geführt wird. Es ist aber keiner dieser Kähne zu sehen, weder im Norden noch im Süden, der Ausblick ist gelinde gesagt etwas trostlos. Weit hinten ein Motorboot, so ein Ausflugsding. Ich will es fotografieren, warte, bis es näher kommt, und als ich knipse, winkt mir der Bootsfahrer zu.

Freundlicher Bootskapitän winkt dem Fotografen zu

Ich winke zurück, er ruft etwas, ich verstehe nichts, das Boot fährt heran, schlingert ein wenig und jetzt höre ich, was der Mann meint. Ob ich mitfahren wolle? Ja mei, das wär ja noch was! Er zirkelt heran, hält sein Schiff mit einer Stange am Land fest, ich lasse den Rucksack ins Boot plumpsen und springe hintennach.

Der Mann heisst Petr, kommt aus der Tschechei, wie er sagt, wohnt aber in Bayern, ist Krankenpfleger, und hat zwei Wochen Urlaub. Das Boot hat er vor kurzem für 8000 Euro gekauft, neuer Motor, sonst aber Occasion, der Bezug der Sitze etwas vergilbt und deshalb wohl so günstig, sagt er. Das Ruder hinten bei der Schiffsschraube fehle noch, weshalb das Steuern etwas schwierig sei und es von aussen besehe wirke, als ob er Mühe habe, das Boot auf Kurs zu halten. Ist aber weiter nicht schlimm. Er fährt jetzt Richtung Frankfurt, dann wieder zurück. Nächstes Jahr vielleicht macht er eine Tour nach Berlin und von dort kann man, wenn ich ihn richtig verstanden habe, nach Prag fahren.

Deutsche Flagge, tschechische Flagge – wie sich’s gehört

Nun sitze ich also im Boot Richtung Erlangen und höre Petr – er ist 56 – zu, was er so zu erzählen hat. Von seinen sieben Geschwistern, die alle im Pflegebereich tätig sind. Sie haben alle ein gutes Herz. Ein Bruder ist leider ertrunken, man weiss nicht warum. Mit Frauen hatte Petr etwas Pech, wie er sagt. Er hatte schon langjährige Beziehungen, hat zwei Stiefsöhne, mit denen er eine gute Beziehung pflegt, und dann zeigt er mir eine leere Weinflasche. Er wird einen Brief hineintun, worin steht, dass er wieder eine Frau suche, und die Flaschenpost irgendwo losschicken. Vielleicht hat er Glück.

Zwangspause, Kaffeepause – vor der Schleuse Kriegenbrunn

Bei der Schleuse Kriegenbrunn müssen wir einem riesigen Lastkahn, der sich angemeldet hat und sich von hinten nähert, den Vortritt lassen. Der muss erst eine Stufe runter. Erst dann dürfen wir mit einem weiteren, etwas kleineren Frachtschiff in die Schleuse. Petr macht Kaffee, wir warten eine gute Stunde und haben vieles zu berichten. Zwischendurch nimmt er ein Bad im Kanal. Als ich ihm von meiner Wanderung erzähle, sagt er, dass er als gläubiger Mensch gern mal von Prag nach Rom pilgern würde.

Schleuse Kriegenbrunn

Die Schleuse Kriegenbrunn ist sehr hoch. Unheimlich hoch sogar, wenn man da in einem kleinen Boot in die Tiefe fährt. Ich habe Petr erzählt, dass ich mit meiner Frau eine Bootsfahrt auf der Mecklenburger Seenplatte plane, wenn ich in Berlin angekommen sei. Deshalb besteht er darauf, dass ich nach der Schleuse steuere. Ohne Steuerruder ist das nicht ganz einfach, man muss Beschleunigung und Drehung gut aufeinander abstimmen, was mir am Anfang mässig und dann besser gelingt. Wir schlenkern immer weniger stark und wenn ein Ruderboot entgegenkommt, muss ich schon bald nicht mehr jedes Mal in angsterfüllte Gesichter schauen. Petr trinkt derweilen ein Bier und bei Erlangen manövriert er dann das Boot irgendwo ans Ufer, damit ich aussteigen kann. Wir haben abgemacht, dass ich ihm aus Berlin eine Karte schicke und später eine aus Basel.

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