Archiv der Kategorie: Allgemein

Extraterrestrik

Eine Gruppe junger Menschen beobachtet den Anflug Ausserirdischer
Kazwei-achtzehnbeli im Anflug

Die beiden jungen Männer wissen, dass ihnen niemand glauben wird, wenn sie erzählen, was sie da sehen. Ein halbes Dutzend Kazwei-achtzehnbeli nähert sich auf einem mehrsitzigen Luftmotorrad, das eine graue Abgaswolke nach sich zieht. Wir schreiben das Jahr 1975 und nur gerade die Frau im Hintergrund, eine künftige Schriftstellerin, ahnt, dass die Dreckschwade des eigentümlichen Luftgefährts giftig sein könnte. Sie zerrt schon mal den Schutzanzug aus dem Rucksack.

Fünfzig Jahre wird es noch dauern, bis Forscher der Cambridge-Uni an einer Medienkonferenz vom möglichen Leben auf dem Planeten «K2-18b» berichten. Die Wissenschaftler haben das All zwar gut beobachtet, dann aber wenig Mühe investiert, einen malerischen Namen für den ihrer Meinung nach neu entdeckten Himmelskörper zu finden. K2-18b – aber hallo! Haben die überhaupt daran gedacht, dass die Bewohnenden des neuen Planeten nun für immer und ewig  «Kazwei-achtzehnbeli» heissen. Womöglich mit ein paar -beli****-Sternchen obendrauf, weil es im fernen K2-18b noch viel mehr Geschlechter gibt, als wir uns überhaupt vorstellen können.

Exakten Forschern sagt sprachlicher Wohlklang halt gar nichts. Dafür sind sie vorsichtig. Sie geben nur so viel preis, wie sie wissenschaftlich belegen können. Deshalb sprechen sie vom möglichen Leben auf K2-18b. Allfällige «Kazwei-achtzehnbeli» erwähnen sie gar nicht, weil sie vor lauter Weltraumteleskop gar nicht richtig hingesehen haben – im Gegensatz zu den beiden Männern auf dem Feldweg. Ihre Feldstecher lügen nicht: Da oben tummeln sich Ausserirdische. Und das – wie gesagt – fünfzig Jahre vor der Medienkonferenz der Cambridge-Uni. Was sind schon fünfzig Jahre im Weltall-Massstab. Nicht einmal ein Lidschlag ist das.

Lidschlag hin oder her – man wird den beiden Männern, einer wird Politiker, der andere spätberufener Musiker, spätestens in fünfzig Jahren glauben, was sie da sehen. Da kann die Frau mit dem wissenschaftlichen Nachschlagewerk – später Managerin einer Juristerei –  noch so lange nachweisen, dass es zweifellos Kazwei-achtzehnbeli sind, die da heranschwirren. Sie ist der Zeit voraus, fünfzig Jahre voraus, oder dreihundertfünfzig Jahre oder dreihunderttausend.

Eitel

Skizze mit Detail

Potztausend – das bin wirklich ich? Ja, sagt die Enkelin. Stimmt: Ich trage ein kariertes Hemd. Seit zwei Tagen unrasiert. Das Tier am Revers ist eine Mücke, eine Fliege oder sowas. Alles gut. Ich lobe die Enkelin: Wie gut du zeichnen kannst!

Und das unter der Nase? Was ist das?

Die Enkelin dreht sich weg, kichert. Bei dir wachsen die Haare aus der Nase, sagt sie.

Unterdessen bin ich Fachmann. Ein Tipp: Kauft keinen dieser elektrischen Nasenhaartrimmer. Sie taugen nicht. Eine Schere hingegen, eine Nasenhaar-Schere mit rundlicher Spitze, tut saubere Arbeit.

Wo?

Der Mann da auf dem Bild scheint erst vor Kurzem erwacht zu sein, ist wahrscheinlich aus dem Schlafsack gekrochen und bläst in ein Trinkgefäss, weil der Trank – vermutlich Kaffee, Pulverkaffee – noch sehr heiss ist. Die Schuhe hat er noch nicht angezogen, Laub und Gräser haben sich den Wollsocken festgehakt. Er ist nicht allein. Jemand hat das Bild geknipst, vielleicht dieselbe Person, die heisses Wasser gemacht und den Pulverkaffee zubereitet hat. Kann sein, dass mehrere Personen um ihn herum sitzen. Das alles ist spekulativ, unerheblich. Denn nur eine Frage drängt sich auf: Wo – bitte sehr! – kann man die Manchesterhose kaufen?

Wo?

 

Nicht.

Wer kennt das Geheimnis? Was verbirgt sich hinter Nicht.? Der Punkt hinter Nicht ist wahrscheinlich wichtig. Sonst stünde er nicht.

Nicht. auf Marmor

Seit einigen Wochen geistert das Nicht. herum. Klebt im öffentlichen Raum. Schwarz auf weiss oder weiss auf schwarz. Es ist eine rätselhafte Botschaft: Nicht.

Ein Kleber, vier auf zehn Zentimeter. Man entdeckt ihn an Pfosten von Verkehrstafeln, an Metalltüren von Elektrokästen, an Brückengeländern, auch mal auf einem vergammelnden Plastikstuhl und seit kurzem auf Kunst. Im Garten der Galerie Salts – da ist jemand eingedrungen und hat Nicht. auf Kaspar Ludwigs schräge Sitzbank geklebt. Schwarzer Kleber, weisse Schrift. So fällt das «Nicht.» auf. Mehr noch: Nicht. könnte hier einen Sinn haben, könnte bewusst für die Bank geschaffen worden, könnte hier geboren worden sein.

Nicht. auf Kaspar Ludwigs schräger Bank im Salts-Garten, Birsfelden

Nein, die Bank hat nicht mit Nicht. zu tun. Das sagt Samuel Leuenberger, Direktor und Kurator des Kunstraums Salts. Irgendeine unbekannte Person habe die Marmorbank für das Nicht. entdeckt, sagt er. Er weiss nicht, was Nicht. ist.

Nicht. auf dem Geländer des Birskopfstegs
Nicht. trifft man häufig in der Breite, im Lehenmatt, in Birsfelden, am Birsköpfli, den Rheinwegen beidseits des Flusses entlang, auf der linken Seite bis hinunter zur Cargo-Bar. Aber niemand weiss was darüber. Auch die Fährifrau auf der St. Alban-Wild-Maa-Fähre nicht. Es kleben halt überall Kleber, sagt sie. Neuerdings weisse mit einem blauen Herz drauf. Und Nicht. hat sie noch nie gesehen, aber sie wird mal genauer hinschauen.

Wer weiss was über Nicht.?

Nicht. auf Stuhl


Lauter Nicht.

Hau den Bettler

Szene mit einem Bettler. Vor dem Migros Dreispitz. In der Woche, als der Basler Grosse Rat das Bettelverbot wieder eingeführt hat.

Münzen auf Fussweg

Ein Wellblechdach bietet neben dem Fussweg von der Tramhaltestelle «M Parc» zum Migros Dreispitz ein wenig Schutz vor Regen. Dort hat sich ein Bettler eingerichtet. Er liegt auf einer Kartonunterlage in einem Schlafsack. Vor ihm, ganz am Rand des Fusswegs, ein Kartonbecher, in den Vorbeiziehende dann und wann eine Münze werfen.

Es ist einer der Bettler, die in Basel betteln, seit sie dürfen. Solange wohl, bis er nicht mehr darf und die anderen auch nicht mehr dürfen. Es ist ja ein Hin und Her um dieses Betteln in dieser Stadt. Den einen erweichen die Bettler und Bettlerinnen und ihre Kinder das Herz, den anderen verhärten sie es.

Vom Migros Dreispitz her kommt ein Mann daher, unterwegs zur Tramhaltestelle wohl. Er ist Mitte dreissig, trägt unter dem linken Arm seine Einkäufe, in der rechten Hand ein Gebäck, das er über seiner heruntergezogenen Gesichtsmaske stückchenweise dem Mund zuführt. Er scheint es weder sehr eilig zu haben, noch trödelt er.

Auf der Höhe des Bettlers macht er einen kleinen Ausfallschritt und spickt den Kartonbecher weg. Die Münzen fliegen kurz durch die Luft, rollen dann weiter, bis sie auf die eine oder andere Seite kippen und liegen bleiben. Der Bettler erschrickt, muss offenbar erst zur Kenntnis nehmen, was geschehen ist, ruft dem Mann einen Fluch nach, schält sich aus dem Schlafsack und sammelt die Münzen auf dem Fussweg ein. Der Mann mit den Einkäufen unter dem linken Arm und dem Gebäck in der rechten Hand schaut nicht zurück.

Adieu, Herr Cotti

Der ehemalige Bundesrat Flavio Cotti ist mit 81 Jahren offenbar an den Folgen einer Corona-Erkrankung gestorben. Er gehört mit Ruth Dreifuss zu den Architekten der Krankenversicherung.

Damals, 1990, als er amtierender Bundesrat war, schätzte er es, auch gern mal mit Journalisten im kleinen Kreis ein Gespräch zu führen. Wir waren zu zweit eingeladen in seine Stammbeiz, ins Della Casa. In Bern. Kurz vor dem Essen kam noch schnell sein Pressesprecher bei uns im Büro vorbei und teilte uns mit, dass es nur ein kurzes Treffen geben werde, der Chef habe um halb zwei eine Sitzung.

Es war vor Weihnachten, das Wetter trüb. Bis um halb zwei redeten wir gestelzt über ganz wichtige Sachen. Bei jedem Wort kamen wir uns sehr wichtig vor, denn wir unterhielten uns ja mit einem Bundesrat.  Dann tauchte der Pressesprecher wieder auf im ersten Stock des Della Casa und sagte, es sei Zeit für die Sitzung. Der Bundesrat überhörte es einfach und schickte den Pressesprecher weg. Wir sprachen weiter, schwatzten drauflos, weil ja halb zwei vorbei war, und der Bundesrat jederzeit aufstehen und zur Sitzung eilen würde und es gar nicht so eine Rolle spielte, was man da noch sagte.  Dann kam der Pressesprecher wieder und sagte mit betretener Stimme, der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sei gestorben. Der Bundesrat, der mit uns am Tisch sass, dachte nach und  gab ein Beileidsschreiben im Namen der Landesregierung in Auftrag. Es herrschte betretenes Schweigen.

Der Bundesrat versuchte es zu brechen, mit ­einer Runde Grappa. Er fragte nach dem persön­lichen Ergehen von uns beiden. Mein Kollege berichtete, dass er neuerdings Teilzeit arbeite wegen seiner Kinder. Da sagte der Bundesrat, er beneide ihn und erzählte, wie er mit seiner Tochter eine heftige Auseinandersetzung geführt habe, wegen einer Nichtigkeit. Das ganze Wochenende sei trostlos gewesen. Und dies nur, weil er nichts als Ruhe gewünscht habe. Und während er sprach, wurde seine Stimme dünner, brüchiger, und schliesslich weinte er. Wir wussten nicht so genau, wo wir hinschauen sollten. ­Einfach nicht zum weinenden Bundesrat, der wenige Tage zuvor strahlend hin­ter einem ­Blumenstrauss gestanden hatte, ­als er zum Bundespräsidenten fürs folgende Jahr, fürs 1991, gewählt wurde.

Nun erschien der Pressesprecher zum dritten Mal. Er sagte, die Kommission habe die Sitzung unterbrochen. Bis zum Erscheinen des Bundesrats. Der Bundesrat fragte, ob wir noch eine Runde Grappa möchten. Wir sagten ja. Als wir leer getrunken hatten, standen wir auf, begaben uns ins Erdgeschoss, dann hinaus auf die Strasse. Der Bundesrat verabschiedete sich, Windböen zerzausten seine schütteren Haare, die er sich irgendwann über den schon recht kahlen Schädel gekämmt hatte.