Kleiner Abstecher ins verbotene Land

Spur durch Deutschland, Wallbach – Laufenburg, 13. Juni 2020. Die beiden Zwiebeltürme des Fridolinsmünsters im deutschen Bad Säckingen sind zu verlockend. Ich will kurz nach drüben. Über die Holzbrücke geht es problemlos, und ich stelle fest, dass die deutsche Salatsauce schmeckt wie vor Corona.

Hier geht’s durch: Offene Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz

Über die Nacht in der Hängematte gibt’s wenig zu erzählen, weil ich tief geschlafen habe. Doch gegen Morgen geht der Lärm los, aber das hat mit der Hängematte nichts zu tun – es erwachen rund um die Waldhütte sehr viele Vögel zur Unzeit. Sehr unterschiedliche Gesänge bieten sie an, ich erkenne eigentlich nur die Amsel. Einer der Vögel hat mir auf die Jacke geschissen, die ich zum Lüften und Trocknen an einen Ast gehängt habe. Das bringe Glück, hat mal jemand gesagt. Trotzdem putze ich die Kacke weg, rasiere mich danach am Brünnlein, mache Kaffee. Ein Gemeindearbeiter dreht mit seinem Gefährt auf dem Platz eine Runde und wünscht einen schönen Tag. Das tut auch die Krankenschwester, die ihren Schäferhund ausführt, bevor sie ins Bett geht. Sie hatte Nachtwache.

Familie Schwan auf Samstagsausflug

Der Fussweg führt immer schön dem Rheinufer entlang. Links das Wasser, ein Schwan schimpft mt den Kleinen, rechts die Bauwerke Wallbachs. Da stehen Einfamilienhäuser und kleine Villen, die in jeder Ecke und jedem Detail, das man anschaut, einfach nur hässlich sind. Peinlicher Protz mit barbusigen Bronzefiguren vor fluoreszierenden gelben Tellern. Das ist noch nicht einmal das Schlimmste. Hier wohnen Leute, die so schnell zu Geld gekommen sind, dass der Geschmack gar keine Chance hatte, sich zu entwickeln. Wem kann sowas gefallen? Ich stelle mir vor, dass selbst die Partygäste dieser Leute hier, jeweils auf der Heimfahrt, angeheitert vom Rosé-Champagner, sich im Auto das Maul zerreissen über die Stillosigkeit der Gastgeber. Beim Gehen fällt mir ein, dass auch der Präsident eines sehr bekannten Fussballclubs hier gelebt haben soll.

Es beginnt zu regnen. Mumpf liegt im Grau, ein Strassendorf, das fast keinen Platz hat zwischen dem mächtigen Berg, der sich dahinter erhebt, und dem Rhein. Die Bahngeleise und die Autobahn zwängen sich auch durch die geologische Enge, aber den Pontonieren, die bereits mit Bier am Feuer sitzen, gefällt’s. Alles ein bisschen chaotisch und unaufgeräumt in Mumpf, aber ein wohltuender Gegensatz zu Wallbach. Zwischen den Büschen sehe ich immer wieder die beiden Zwiebeltürme des Fridolinsmünsters in Bad Säckingen, ein vertrauter Anblick für einen, der so oft die Strecke von Basel nach Zürich gefahren ist. Wär’s schon Montag, könnte ich dort drüben einen Kaffee trinken.

Noch ist das nicht möglich. Ich sehe aus der Ferne, wie die Zöllner auf der Autobrücke jeden Wagen anhalten. Die Neugier treibt mich runter zur Holzbrücke, die seit über 700 Jahren dasteht und die längste ihrer Art in ganz Europa sein soll. Gut 200 Meter lang ist sie, ich mache die ersten Schritte, Leute kommen mir entgegen, einen Zöllner sehe ich nicht. In der Mitte quert ein weisser Balken den Gehweg.

Der Schritt über die Grenze

Feierlich überschreite ich ihn und bin seit mehr als drei Monaten wieder in Deutschland. Ob das gut geht? Ich denke an den Vogelschiss auf meiner Jacke heute früh und das angekündigte Glück und will dem Fridolin in seinem Zwiebelturm-Münster zwei Kerzen anzünden.

Auf der Rheinbrückstrasse, die am Ende der Brücke in Bad Säckingen beginnt, sitzen die Leute an den Cafétischen wie gestern in Rheinfelden. Alle reden badisch oder deutsch, Schweizer gibt es zurzeit keine hier. Als ich mich ebenfalls setze und einen Salat bestelle, irritiert mich ein Blick auf die vom Vogelschiss gereinigte und während des Wanderns zum Trocknen an den Rucksack gehängte Jacke sehr.

Fridolinsmünster in Säckingen

Unterwegs hat ein weiterer Vogel gekackt. Noch grösser, ausgiebiger. Soviel Glück brauche ich nicht. Zu vermelden wäre im weiteren: Die weisse deutsche Salatsauce für Grossküchen gibt es auch nach Corona noch. Das ist kein Lockruf für Gourmets, aber doch beruhigend.

Zwischen Säckingen und Laufenburg braten die Leute ihre Wochenend-Wurst, Fischer sitzen auf Klappstühlen und rauchen, in Sisseln mähen sie Rasen oder tun ihren Gärten sonstwie Gutes an. Immer schön dem Rhein entlang. Steht ein Bunker da, muss man die Böschung hoch- und danach wieder runtersteigen, bei den vielen Fischerhäuschen zwängt sich der Pfad irgendwie dran vorbei.

Einer der Fischer hat einen Wels mit beidseitig vom Maul abstehenden Schnauzhaaren aus dem Wasser gezogen. Die Schnauzhaare nennt er «Bartel». Bei diesem Fischer kann man wahrscheinlich etwas lernen, darum bleibe ich stehen. Aber er schweigt eisern, sitzt auf dem Klappstuhl, den Hund neben sich, er hält die Zigarette, leicht vorgestreckt, regungslos auf Brusthöhe. Der Rauch steigt senkrecht hoch. Ich frage, ob gutes Fischwetter sei. Für den Wels habe es zuviel Bise, sagt er. Der Rauch der Zigarette steigt weiterhin senkrecht hoch. Die Fischerrute zuckt leicht und ich frage mich, was der Wels gegen die Bise habe. Der Hund beginnt zu bellen, und der Mann herrscht ihn an: «Sei still, Maite, sei still.» Ich bin wohl mitgemeint, verabschiede mich und ziehe dahin mit der Bürde des Rucksacks und der ungelösten Frage, warum der Wels bei Bise nicht anbeisst.

Marktgasse Laufenburg

Wie eine Trutzberg liegt vorn das Laufenburger Kraftwerk quer über dem Rhein. Auf einer Wiese herrscht hüllenloses Sonnenbaden, ausgeübt von wohlgenährten Mittfünfzigern. Man möchte sich intensiv dem Anblick von irgendwas anderem widmen, zum Beispiel von Blumen. Aber die Wiese ist grad eben gemäht worden. Laufenburg liegt dann malerisch auf einem Rheinfels, in der Altstadt blüht die Alternativ- und Kreativwirtschaft und Frau Dietz bietet in der Marktgasse ein B&B-Zimmer mit Frühstück für fünfzig Franken an. Das ist beruhigend, denn die Wetter-App kündet einen Sturm an. Das Zimmer liegt genau über dem Brocki-Laden von Frau Dietz. Den muss man erst durchqueren. In diesem Jahr hat sie ihn noch gar nie aufgemacht, sagt sie. Vielleicht im Sommer.

 

 

 

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