Martin Luthers Tändelei mit der Nonne Eva

Spur durch Deutschland, Löbnitz – Gräfenhainichen, 3. August 2020. Wenigstens kann man der Natur wieder etwas zurückgeben, sagt eine Frau und spricht von der Seenlandschaft, die hier rings um die Dübener Heide entstanden ist. Sie steht vor der Kirche in Löbnitz, wo Luther öfters gepredigt hat. Er war in eine Löbnitzerin verknallt, hat dann aber deren Freundin geheiratet.

Frau Engler, Löbnitzerin seit jeher, führt durch die Kirche

In der Mitteldeutschen Zeitung steht, dass die AfD stärker zerstritten sei als bisher angenommen und es vielleicht zu einer Spaltung komme, was zwei Radfahrer, die neben mir Kaffee trinken, ganz gut finden. Die AfD gehöre nicht in den Osten, sagt der eine, sie sei vom Westen importiert und die Bosse meistens Westler. Der andere stimmt zu und spricht von einem Trojanischen Pferd. Sie reden weiter, und ich wüsste gern, was sie wählen, aber sie wechseln das Thema.

Ave- respektive Eva-Skulptur

Nun möchte ich den See sehen, der vor 18 Jahren innert 36 Stunden entstanden ist, wie mir der Wirt der Pension gestern Abend geschildert hat, den Seelhausenersee, mehr als sechs Quadratkilometer gross, dreissig bis vierzig Meter tief. Vor der Kirche, die etwas zu gross gebaut scheint neben den niedrigen Häusern ringsum und so wirkt, als ducke sie sich verschämt, steht eine schlanke Holzfigur. Es ist Ave, die da dargestellt ist. Gemeint ist aber Eva. Des Reformators Martin Luther Jugendschwarm, wie ich dem Text auf einer daneben stehenden Tafel zu entnehmen glaube. Auch wenn mich seine 95 Thesen und sein reformatorisches Treiben jetzt nicht grad brennend interessieren, weil ich diese Seen sehen will und später ohnehin noch durch Wittenberg wandern werde, so stelle ich trotzdem den Rucksack zu Boden, um zu lesen, wie es um Luthers Liebesleben stand.

Ein Küster oder Sigrist steht plötzlich neben mir und fragt, ob ich die Kirche sehen will. Er schliesse sie ohnehin auf, weil demnächst eine Frau der Offenen Kirche käme, aber darauf habe ich keine grosse Lust, doch sie steht auch schon da und erzählt mir von der einzigartigen Kassettendecke im Innern des Gotteshauses, der grössten und umfangreichsten in Deutschland. Schon wieder begegne ich einem Superlativ. Also folge ich der Frau Engler, die weder Gemeinde- noch Kirchenmitglied ist, da ihre Eltern sie als gute DDR-Bürger nicht getauft haben. Sie macht als Löbnitzerin, deren Familie seit mehr als 250 Jahren im Dorf wohnt, bei der Offenen Kirche mit. Das heisst: Sie erklärt Touristen wie mir – meistens allerdings Radlern – die Kirche.

Kirchendecke mit 250 Bildern aus der biblichen Geschichte

Und das ist ganz interessant: Zum einen diese 250 Deckenbilder, die – wie im bündnerischen Zillis – die Bibel erzählen. Die untersten sechs Reihen, von rechts nach links, widmen sich dem Alten, die anderen dem Neuen Testament. Als ihr Sohn zur Schule ging, vor vielen Jahren, und mal eine Klassen-Aufführung in dieser Kirche stattfand, habe sie die Decke erstmals angeschaut, erzählt Frau Engler. Alles war schwarz dort oben. Man sah keine Bilder. Eine Stiftung hat 2012 die Restauration finanziert und die Bilder des unbekannten, wahrscheinlich dänischen Malers wieder ans Licht gebracht. Ein echtes Kunstwerk, das Frau Engler Interessierten nun näherbringt.

In der Pastorenloge sassen die Junker, die Angst vor dem Volk hatten

Sie zeigt auf die Pastorenloge vorn über dem Chor, die für die Adligen und Junker reserviert und von aussen zugänglich war, damit sie nicht durchs Volk hindurch gehen mussten. Einer, der Adolf von Schönfeld zum Beispiel war so unbeliebt, dass er sogar vom Fürsten zurechtgewiesen werden musste. So fies hat er die Untertanen behandelt. Alle hier im Dorf waren Untertanen der Schönfeld, alles Bauern, die das Land bewirtschafteten.

Den Schönfelds gehörten die Ländereien hier, seit jeher, schon zu Luthers Zeiten. Luther war mit ihnen befreundet, kam immer wieder her, hat auch öfters in dieser Kirche gepredigt. Eine der vielen Schönfeld-Töchter, die Eva, musste, kaum dem Kindesalter entwachsen, ins Kloster, wie das halt so üblich war. Als sich dann die Lebenslust in ihr regte, ist sie mit anderen Jung-Nonnen geflohen und zwar nach Wittenberg, wo Luther wirkte. Er hat die Damen versteckt und sich in Eva verliebt. Allerdings war irgendwo der Wurm drin, jedenfalls gab’s nichts aus dieser Amour fou. Luther hat dann Katharina geheiratet, die zusammen mit Eva aus dem Kloster geflohen ist, hat aber dreizehn Jahre später in einer Tischrede noch von der Eva Schönfeld geschwärmt, die nun als nackte Holzstatue vor der Kirche steht.

Seelhausenersee statt Kohlegrube: Die Natur bekommt etwas zurück

Die Holzdecke übrigens war deshalb so schwarz, weil die Luft extrem dreckig war vor der Wende. Frau Engler sagt, der Kohleabbau habe einen stetigen Staub zur Folge gehabt, zudem habe die Chemie aus dem nahen Bitterfeld so gestunken und geschwärzt, dass man zeitweise keine Wäsche habe aufhängen können. «Ich habe das Geräusch der knarzenden Bagger aus den Gruben noch immer im Ohr.» Viele aus Löbnitz haben zu DDR-Zeiten im Kohleabbau oder in der Chemie gearbeitet. «Bitterfeld war ein richtiges Drecksloch», sagt sie. Jetzt sei es eine saubere Stadt. Und dass man aus diesen Kohle-Tagbau-Gruben so schöne Seen macht, findet sie tröstlich. «Man kann der Natur nun wieder etwas zurückgeben», sagt sie.

Noch recht bescheidener Rummel

Die Wolken von gestern haben sich verzogen, der Himmel hellblau, ein kühler Wind weht, und ich suche erst den Seelhausenersee auf. Eine Stunde lang wandere ich an seinem Ufer, immer wieder an der Tafel «Bergbaugelände – Zutritt für Unbefugte verboten!» vorbei. Ich gehe trotzdem mal runter zum Wasser. Ein schöner Strand. Sand. Auch Spuren von Leuten, die hier gebadet haben. Ich frage einen Mann, der mit dem Hund spaziert, und er sagt, das Ufer sei noch nicht überall abschliessend vor Abbrüchen gesichert, aber man könne schon hingehen. Die Sachsen seien eben etwas langsam. Ich möge doch drüben in Sachsen-Anhalt an den Goitzschesee, dort gehe die Post ab mit Camping, Restaurants, Stränden, Aussichtsturm. Drüben in Sachsen-Anhalt – das ist zwei Kilometer weiter. Da muss ich ohnehin durch und ich schaue dem fröhlichen Strandtreiben zu.

Ruhiger Ort zum stillen Bade

Allerdings boomt der Tourismus noch auf sympathisch bescheidenem Niveau. Die Preise sind mässig, die paar Boote, die auf dem Wasser kurven, wirken etwas verloren, die Strände alles andere als überlaufen. In den lichten Wäldern wandere ich an biederen Bungalow-Siedlungen vorbei und in Gräfenhainichen, wo das Tourismus-Büro steht und ich in einer Monteur-Absteige ein Zimmer finde, suche ich in den langen Strassen, die beidseits von ein- und zweistöckigen Häuschen gesäumt sind, ein Gasthaus. Viel Wohnungen stehen zur Vermietung, auch viele Ladenlokale. Auf dem Marktplatz stehen zwei Restaurants. Im einen sitzen an den Tischen des Gasthofs Castello ein paar Leute. Die Kellnerin kennt die meisten. Das andere ist leer. Der Koch steht vor der Tür und raucht.

Strasse in Gräfenhainichen

Auf der Stirnseite des Platzes hängt in einem Schaufenster das Partei-Logo der AfD. Zwei Frauen treten heraus, schliessen ab und entfernen sich in so heftigem Gespräch, dass man davon ausgehen muss, sie seien unterschiedlicher Meinung. Im vierundzwanzigköpfigen Stadtrat hier hat die AfD nur einen Sitz, die Linke sechs und die CDU mit elf die Mehrheit.

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