Spur durch Deutschland, Bamberg – Bad Staffelstein, 18. Juli 2020. Ich grüsse Heinrich II. am Bamberger Dom, verneige mich vor Graf Stauffenberg und wandere über Land. Alle sind sehr mit dem Samstag beschäftigt.
Bambergs Besucherinnen und Besucher sitzen da und dort bereits in den Strassencafés, räkeln sich in der Morgensonne, und die Einheimischen kaufen auf dem Markt Gemüse ein. So richtig ist der Betrieb noch nicht angelaufen, Kunst- und Buchhändler montieren erst die Auslageständer und Sonnenschirme. Es werde weiterhin weniger Touristen geben als in anderen Jahren um diese Jahreszeit, hat mir am Abend zuvor einer in der Casa Espana klargemacht. Die Kreuzfahrten sind eingestellt. Normalerweise fahren Kreuzfahrtschiffe auf dem Main-Donau-Kanal, von Rüdesheim am Rhein bis Budapest und noch weiter, und diese Schiffe spucken regelmässig Hunderte von Touristen aus, die wie hungrige Ziegen durch die Läden schnuppern und naschen, dann wieder aufs Schiff steigen und weg sind sie. Die fehlen nun wegen der Pandemie. Überhaupt ist der Schiffsverkehr eingebrochen. Täglich fahren normalerweise achtzehn Lastkähne durch, jetzt sind es nicht einmal die Hälfte.
Die Stadt verlasse ich durchs Tor des alten Ratshauses, an dem eine Gedenktafel für Graf von Stauffenberg hängt, der in Bamberg einen Teil seiner Militärlaufbahn absolvierte und später seinen Attentatsversuch auf Hitler mit dem Leben bezahlte. Einen Gruss sende ich zudem hinauf zu den vier Türmen des Doms, speziell natürlich zum Standbild Heinrichs II., der auch den Bau des Basler Münsters unterstützte und diesem eine goldene Altartafel schenkte, welche die Baselbieter nach der Kantonstrennung allerdings billig nach Paris verscherbelten.
Sonst grüsse ich niemanden mehr, wandere in die Morgenluft, geniesse die Sonne und rieche den kernig-samtenen Duft des reifenden Getreides links und rechts des Weges. Die Weizenkörner sind noch weich. Wo aber Raps steht, werden die Mähdrescher bald auffahren. Die Schoten sind trocken und spröde, die Samen schwarz, hart und reif, man ahnt das Öl, wenn man draufbeisst.
Kleine Dörfer liegen wieder in den Geländemulden, ohne Dorfläden und ohne Menschen, weil diese unten in der Agglo in der Edeka und im Lidl einkaufen. In Merkendorf hat es wenigstens eine Bierstube, die allerdings geschlossen ist. Drei Zigarettenautomaten zähle ich auch und zwei Kaumgummi-Automaten. Den einen hat aber jemand eingeschlagen, die runden Bollen sind vergilbt und aufgeweicht.
In Merkendorf sehe ich zudem einen Wegweiser, der einen «Flugplatz» anzeigt. Ich folge ihm und entdecke beim Dorfausgang einen Schuppen mit einer Rampe, wie sie früher auf Bahnhöfen standen. Die Türen sind offen, die Räume menschenleer und von einem Flugfeld keine Spur. Der Wind weht leicht, bewegt die Türen. Am Ende des Schuppens steht ein Holzverschlag und dort sitzt einsam, vor einem halbgeleerten Glas Bier, ein Mann. Ich frage, ob das ein Flugplatz sei, und er nickt. Er nickt nochmals und lacht. «Am Samstag lassen wir die Tauben fliegen», sagt er dann. Die Brieftauben. Hier ist ein Brieftaubenverein. Ich frage, wo die Tauben sind. «Oben. In der Luft.» Er sagt nicht, ob der Verein die Tauben hier hat losfliegen lassen oder ob sie anderswo in die Lüfte gestiegen sind, und er ihre Ankunft erwartet. Das einzige, was er noch sagt: Der Flugplatz sei hinter dem Wald.
Der Flugplatz gehört der Modellfluggruppe Merkendorf e.V. So steht’s auf den Leibchen der Vereinsmitglieder, die sich jeweils am Samstag hier treffen. Erst vier sind hier. Sie fragen, ob ich Durst habe, geleiten mich zum Clubhaus, und ich darf auswählen aus dem Kühlschrank. Alles kostet einen Euro. Sie wollen die Maschine 50+69 fliegen lassen. Zweimotorig, Benziner. Das eine Clubmitglied erklärt mir das Benzin-Öl-Gemisch, aber ich habe es vergessen. Das Modell ist selbstverständlich eine Eigenkonstruktion und wiegt 25 Kilogramm. Genau. Ein Gramm mehr und es wäre kein Modellflugzeug mehr. Hoffentlich fällt der nicht runter, sage ich. «Der fällt nicht runter.» Aber die beiden laufenden Motoren hinter den Propellern haben noch unterschiedliche Temperaturen. Zu grosse Toleranz oder zu geringe Toleranz – das habe ich auch schon vergessen. Jedenfalls kann der Flieger nicht in die Luft, solange ich da bin.
Vor mir liegt ein mehrere Hektaren grosses Solarfeld des Hofgutes Leimersfeld, wo ich durch muss. Ein bisschen unheimlich, es sirrt dauernd etwas. Aber eine gute Sache ist so ein Solarfeld gewiss: Das Feld produziert Energie für 4500 Haushalte und entlastet die Umwelt um 7490 Tonnen CO2. Die andere Hälfte seines Kulturlandes braucht der Bauer des Hofguts Leimersfeld auch nicht mehr für die Landwirtschaft. Der clevere Kerl hat einen Golfplatz gebaut und hier – im Clubhaus und auf dem Platz – widmen sich Leute ihrem Samstagvergnügen. Sie sind weniger gastfreundlich als die Modellflieger. Ein paar Männer hauen gelbe Bälle in die Landschaft, der weite Rasen sieht aus, als blühe Löwenzahn. Die Bälle sind Eigentum des Clubs, wer einen mitnimmt, «macht sich des Diebstahls schuldig».
Es ist ein schöner Sommertag, ein Dorf folgt aufs andere, gepflegte Dörfer, auch verkommene zwischendurch, und in Bad Staffelstein, wo es viele Brauereien sowie – angeblich – einen historischen Teil, den ich aber nicht gefunden habe, gibt, ist der Abend nahe. Am Dorf- respektive Stadtrand steht die Unterkunft «Vier Jahreszeiten». Die Herbergsmutter drückt mir einen Schlüssel in die Hand und sagt, sie gehe nun einkaufen und falls ich mich erholen wolle, könne ich das in der Obermain-Therme, nur sieben Minuten nebenan, tun. Ich wandere über ein trockenes Feld, stehe vor einem riesigen Gebäude, lege die Maske an, bis ich das Ticket für zwei Stunden gelöst habe, und ziehe sie wieder aus.
Hier im Thermalbad trifft sich die Jugend und auch die ältere Generation Bad Staffelsteins zum samstäglichen Einstieg ins Wochenende. An den Bassinwänden des Thermalbads hat es – wie andernorts auch – Massagedüsen und wenn man sich ihnen im Becken entlang bewegt, wird im Laufe des Parcours dem ganzen Körper eine Massage zuteil. In Bad Staffelstein ist das aber nicht so. Die jungen Leute treffen sich im Thermalwasser zum Biertrinken. Sie stehen den Wänden entlang im Bassin, lassen niemanden durch und auf dem Bassinrand trohnt das Bier. Sie schwatzen und lachen und wenn sich einer bewegt, dann ist es, weil sein Bier leer ist und er ein volles Glas braucht. Sie waten durchs Bassin mit dem leeren Bierglas und kommen zurück mit dem vollen.
Die allermeisten Leute hier, jung und alt, sind ziemlich kräftig gebaut. Wobei – kräftig? Also Muskeln sieht man nicht so viele, sie sind zugedeckt mit angespeckten Vorräten, also ziemlich viel Vorräten. Man könnte sagen: die meisten sind ein bisschen fett. Aber es stört sie nicht sehr. Der Herrgott hat’s hier gut gemeint, als er die Menschen baute. Manche sind ein bisschen grob in ihren Ausdrücken. Viele Paare knutschen. Die Burschen heben die Damen hoch bis fast an die Wasseroberfläche. Das geht im Wasser gut, an Land würden sie es nicht schaffen. Und so endet mein Thermalbadbesuch ohne Düsenmassage. Ich schau noch ein bisschen das Städtchen an, das in seiner nüchternen Schmucklosigkeit etwas abweisend, sogar trostlos wirkt, auch wenn die Leute vor dem Schoppen-Stübla daran sind, einen heiteren Samstagabend steigen zu lassen.