Auf einem Platz des Grauens

Spur durch Deutschland, Dachau – Odelzhausen, 2. Juli 2020. Wir fahren nach Dachau, wo sich nur wenig Leute hinbegeben zurzeit. Es ist belastend, durch dieses Tor zu gehen, danach durch einen der Trakte, in dem Zeugnisse der millionenfachen Morde liegen. Unfassbar ist das, auch die Gründlichkeit und der Zynismus, mit dem die Nazis ans Werk gingen.

Tür zur Hölle

Wie muss jemand die Gefangenen in diesem Konzentrationslager verachten, wenn er die Phantasie hat, «Arbeit macht frei» ins Eintrittstor der Hölle schmieden zu lassen! Welcher Zynismus! Was für Abgründe tun sich auf! Der Platz ist riesig, wo das Lager Dachau stand, nur noch die Grundmauern der Baracken stehen, ganz wenige Besucherinnen und Besucher verlieren sich darauf. Man will das nicht sehen. So lang liegt es nicht zurück. Ein paar Jahrzehnte. Aber man sollte es. Rechterhand steht eines der langen Gebäude noch da und man geht durch. Man muss durch. An den Karteikarten vorbei, die fein säuberlich die Ankunftszeit der Deportierten festhalten, den Todeszeitpunkt. An einer Uhr, die einem der Angekommen abgenommen wurde, wie alles andere, das er abgeben musste. Lagerkleider hängen in einem Spind. Einer der Häftlinge hat sie getragen.

Dachau, nur wenig ausserhalb von München, war eines der ersten KZ der Nazis, 1933 gebaut, erst für politische Häftlinge gedacht, ab 1936 auch für Juden. Man probte hier, um in weiteren Lagern die gleiche Hölle aufzubauen, hier wurde Personal ausgebildet – was waren das für Menschen. Sie lebten unter ihresgleichen, waren Leute von nebenan, bevor sie im KZ arbeiteten, wohl auch während der Zeit, da sie dort arbeiteten und einige noch danach. Für sie wurde Grausamkeit zum Alltag, man wollte immer besser werden darin, erfand Strafbestimmungen, die für kleinste Abweichungen vom Lagergehorsam schlimmste Konsequenzen auflisteten, alles fein säuberlich auf Papier festgehalten. Und am Schluss war meistens der Tod.  Man fand das gut, auch ausserhalb der Lagerzäune. Ein Teil der Bevölkerung draussen jedenfalls. Unter dem Titel «Das erste Konzentrationslager bei Dachau errichtet» schreibt die Augsburger Neue National-Zeitung 1933: «Die neue Heimat für 5000 kommunistische und sozialdemokratische Volksschädlinge». Wie das in der Redaktionsstube hergegangen sein muss! Und wie man sich dort auch sonst an Hetzschriften delektiert haben muss.

Wenig Besucher in dieser Unendlichkeit des Schreckens

Es sind nicht nur die Bilder, die einen zu Boden drücken, die Texte auf den Tafeln – es ist auch das Gefühl, dass das alles hier geschehen ist, verübt von Menschen, die ja nicht von einem Teufel auf die Erde geschickt wurden, sondern die in einem ziemlich normalen Land erzogen, ausgebildet und sozialisiert wurden. Wird so etwas wirklich nie mehr? Solange es Hetzer gibt, die behaupten, dass es gar nie war, ist das nicht ganz sicher. Vor allem, weil sie es mit einer bestimmten Absicht leugnen.

Wir verlassen das Lager bedrückt, haben die ganze Zeit den Rucksack getragen, weil man ihn weder deponieren noch abstellen darf, was auch ein Zeichen dafür ist, dass dem Frieden nicht zu trauen ist. «Es könnte eine Bombe drin sein», sagt der Aufseher.

Ein Feld voller Riesenkerbel und ein Müller

Benommen gehen wir die ersten Schritte, die ersten Kilometer, ich schaue auf meine App, die den Weg anzeigt, weil mir die Karte zu unübersichtlich ist, und Lix auf die Karte, weil er der App noch nicht ganz traut. Aber wir sind uns doch meist einig über die richtige Route, nur einmal nicht, als wir die Waldecke verpassen, die «Himmelreich» heisst. Dafür kommen wir an einem Feld hoher Riesenkerbel vorbei, die so riesig sind, dass ein Mensch daneben stehen muss, um zu dokumentieren, wie mächtig diese urtümlichen Pflanzen in die Höhe geschossen sind. Im Vereinsgebäude neben dem Trainingsplatz des Eisstock-Vereins in Kreuzholzhausen schützen wir uns vor einem vorüberziehenden Gewitter und schauen zu, wie in der Ferne Regenschauer niedergehen.

Mitten im Wald: Die Wohnung des slowakischen Waldarbeiters

Die Wege sind nass, sehr nass, die Wiesen sowieso und der Wald dampft, es ist schwül. Kleine Steigungen machen uns schwitzen, wir trinken heftig Wasser, setzen uns auf die Bank einer Waldhütte, von denen es sehr wenige gibt. Die Hütte ist aber gar keine Waldhütte, sondern die Behausung zweier slowakischer Waldarbeiter, die bei einer Flasche Bier eine späte Mittagspause machen. 800 Kilometer weit weg wohnt der eine, kein Problem sagt er, in sechs Stunden bin ich daheim, wenn ich will. Aber er bleibt jeweils drei Monate hier, pflanzt Jungbäume im Sommer, trimmt Brennessseln weg, fährt heim und kommt im Winter wieder drei Monate lang. In diese Hütte. Nun aber zum Holzen.

Von weitem dröhnt die Autobahn. Ihr entlang wandern wir nach Odelzhausen und finden es ganz verwegen, an einer Autobahnraststätte als Wanderburschen in einem McDonald’s Drive eine Cola zu trinken.

Lix mit dem legendären Müller-Hut

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