Spur durch Deutschland, Bamberg, 17. Juli 2020. In Bamberg breitet sich die grösste historische Altstadt Deutschlands aus. Darum ist sie 1993 ins Weltkulturerbe aufgenommen worden. Einen Tag brauche ich gewiss, um sie zu erkunden und zudem muss ich mal wieder Wäsche machen.
Es erstaunt mich, wie sehr die Touristen sich in Bamberg entlang eines einzelnen Strassenzugs drängeln. Zwischen der Kettenbrücke, die über den Main-Donau-Kanal führt, und dem alten Rathaus mit seinen Tordurchgang, den Fresken und den Rokoko-Balkonen streiten sie sich um freie Tische und Stühle auf Plätzen und in den Gassen. Richtung Domplatz tummeln sich auch noch welche, aber in die südliche und nördliche Altstadt mit ihren pittoresken Häusern und Palästen und Fachwerkbauten verirrt sich kaum jemand. Dabei ist genau das einzigartig an Bamberg – die Weitläufigkeit der erhaltenen Altstadt.
Andererseits: Die Geschenkboutiquen, Kleiderläden, Galerien, Antiquitätengeschäfte, der Kunsthandel, die Bäckereien, Bier- und Weinläden und was der feinen Dinge mehr sind, stehen entlang dieser Tourismusmeile. Da geht man eben hin. Was in Bamberg aussergewöhnlich ist – das sind die vielen Geschäfte, in denen man im Juli Weihnachtsschmuck und Krippenspiele und Marias und Josefs samt Jesuskind kaufen kann. Und was die Leute auch fasziniert: Auf dem Grünen Markt verkauft ein Stand nichts anderes als alleroriginellste Corona-Masken.
Zuerst zieht’s mich auch dorthin und in einem Café, das sich «Morgenmahl» nennt, erstehe ich einen teuren Kaffee und ein heisses Croissant, wie man dem hier sagt. Es ist ein bisschen kompliziert, bis man an die Bescherung kommt: erst die Corona-Anmeldung, die ich in eine Art Gästebuch eintrage und zwar mit Unterschrift, dann Anstehen an einer Kasse, hinter der eine freundliche Dame meine Bestellung säuberlich aufnimmt, darauf zurück zum Eingang. Dort empfängt mich eine weitere nette Dame und weist mir einen Tisch zu, der sich dann aber als zu gross für mich erweist, weil ich nur eine Einzelperson bin. Ich räume ihn für zwei Mütter mit einem Kind. Das Croissant ist recht heiss, heisser als der Kaffee. Der Raum: ein kleines Museum mit Dingen, die man nicht braucht.
Quer durch die Altstadt suche ich den Waschsalon auf. Er liegt an der Oberen Königsstrasse, aber den Menschen hier geht das Königliche irgendwie ab. Sie tragen eher Werktagskleider, gebrauchte, die Haare weder aufgesteckt noch kunstvoll frisiert, sondern strähnig vom Kopf fallend oder auch abstehend, sie rauchen und schauen nicht in die Schaufenster, um glitzernde Dinge zu kaufen. Eher Brot oder sonst was Notwendiges. Im Waschsalon verkehrt wie drüben in der Altstadt auch die ganze Welt, aber hier eher aus Syrien, Eritrea und dem örtlichen Sozialwohnungsbau. Alle Waschmaschinen sind in Betrieb. Ich packe mein Notebook aus und will zwei, drei Mails schreiben. Als der kleine Bub aus Eritrea das sieht, eilt er herbei und will in die Tasten hauen. «Game», sagt seine Mutter und lacht.
Als die Maschine dann wäscht, spaziere ich in Richtung Bahnhof durch Bamberg. Die städtische Wohnhilfe hat hier Wohnungen erstellt. Sie scheinen seit einiger Zeit schon bewohnt, aber die Strasse ist noch nicht asphaltiert. Dahinter liegt die Siedlung Tockler, aus der ein Mann kommt, der mir erzählt, dass ihnen dieser im Naturzustand belassene Weg ganz gut passe. In der Tockler-Siedlung wird generationenübergreifend gewohnt. Sie steht seit zwei Jahren und gehört einer Gesellschaft, die wie eine Genossenschaft funktioniert. Also eine gute Gesellschaft. Das gemeinschaftliche Leben, das sehr intensiv sein soll, spielt sich auf der Seite der nicht asphaltierten Strasse ab, das private auf der anderen Seite der Häuserzeile, wo gar keine Strasse ist.
Wenn jemand auszieht, hat die Gesellschaft Vorkaufsrecht. Das soll verhindern, dass hier Spekulanten tätig werden. Man konnte das Land günstig kaufen, es lag brach, seit es keine Wachsbleiche mehr gibt. In der Wachsbleiche haben Handwerker den gelben Bienenwachs so lange in der Sonne hin- und hergewendet, bis er weiss war und Kerzen gezogen werden konnten, was ein wichtiger Wirtschaftsfaktor war in dieser Stadt mit Dom und vielen Kirchen.
Hinten steht eine der vielen Brauereien Bambergs. Ein vorbeigehender, ehemaliger Metzgermeister erzählt mir, dass das Fässla-Bier in den letzten dreissig Jahren zu einem grossen Erfolg geworden sei. Eine Bierbrauerei wie alle anderen war das ursprünglich. Aber seit 1984 hat’s eine Familie übernommen, die was vom Brauen versteht. Der Metzgermeister hat in den Sechzigern eine Zeitlang in Rorschach gearbeitet. «I bi domols mit ere Schwiizere gange, Stähelin het si gheisse.»
Für das Fässla-Bier und für ihre Partei «Freie Wähler» hat auch Wirtin Katja «Mutti» Kohlmann aus der Fässla Stubn in der Altstadt Werbung gemacht, als sie im März in den Wahlkampf für den Stadtrat stieg. Die Plakate an ihrer Bierstube hängen noch, auch wenn die Wahlen längst vorbei sind. «Bamberger Bier für Bamberger Feste», «Bierkultur», «Mittelstand», «No plastic» waren ihre Slogans. Es hat nicht gereicht. Die «Freien Wähler» haben nur einen Sitz gemacht, die Grünen haben abgeräumt und sind mit Abstand stärkste Partei (27 Prozent), und die CSU und die SPD mussten tief in die Röhre gucken.
Bier ist neben Religion und Erzbistum und frommen Sprüchen an allen Ecken und Enden sowie der Besinnung auf bedeutende historische Ereignisse sowieso etwas sehr Wichtiges in dieser malerischen Stadt, die zum Weltkulturerbe für alle künftigen Generationen gehört. Das «Schlenkerla» sei das einzigartigste Bier in Bamberg, hat mir ein Mann gesagt. Die ersten Schlucke seien furchtbar, aber nachher wolle man nicht mehr davon lassen. Ich komme tatsächlich vorbei am Restaurant, wo dieses Schlenkerla verkauft wird, und es stehen Leute Schlange für ein Glas. Mich dünkt es ein wenig eine schwarze Brühe, die da getrunken wird, und ich ziehe einen Bogen um die Attraktion herum.
Wein interessiert mich sowieso mehr. Ein Weinhändler in der Dominikanerstrasse klärt mich auf, dass diese flachbauchigen Flaschen, die hier überall angeboten werden, nur für fränkischen Wein zugelassen sind. Man nennt sie Boxbeutel. Vielleicht weil man Wein früher aus Lederbeuteln getrunken hat. Ich muss ein bisschen lachen, weil der portugiesische Mateus auch in solchen Flaschen verkauft wird. Meine ungebührliche Bemerkung erzürnt ihn, weniger wegen mir als wegen der Portugiesen. Die Franken hätten diese Flaschen erfunden und sich vor 15 Jahren «das Copyright gesichert». Man sollte den Portugiesen einen Riegel schieben, meint er.
Der Dom mit seinen vier Türmen ist schon sehr aussergewöhnlich. Ich steige hinauf, aber es gelingt mir nicht, all die historischen Plätze zu besuchen, die seit der Gründung Bambergs durch Heinrich II. und der Kaiserin Kunigunde im Jahr 1007 bedeutend waren. Christliche Herrscher, Bischöfe, Erzbischöfe und dergleichen haben heftig gewirkt in dieser Stadt. Die Religion ist präsent an jeder Ecke und war es zu allen Zeiten. Hexen und Hexer wurden im 17. Jahrhundert so viele verbrannt wie kaum an einem anderen Ort in Europa, sogar ein Bürgermeister musste sterben. Corona hat die ansässige Spiritualität neu belebt: Spaziert man abseits der Touristenströme durch die Gassen, sieht man an den Wänden, Briefkästen und Zäunen Verse, die das Gute und Reinigende der Pandemie betonen und eine bessere Zukunft versprechen – vielleicht eine grüne, wie die Stadtratswahlen vermuten lassen.
Für die Juden war Bamberg in der Nazizeit eine Hölle. Nur 15 haben überlebt. In der Judengasse steht ein Antiquitätengeschäft, das unter anderem «Apfelwibla» verkauft – kleine Backbleche, in denen man Kuchen in der Form eines apfelförmigen Frauengesichts backen kann. So ein Apfelweibla schmückte den Türknauf des Dichters und Musikers E.T.A Hoffmann, der in Bamberg tätig war und sich in eine Sechzehnjährige verliebte, wie der Besitzer des Antiquitätengeschäfts weiss. Ins Gespräch gekommen bin ich mit ihm, weil er ein Söder-Kreuz in seinem Schaufenster hängen hat und zwar an einem Faden. Ich frage ihn nach der Bedeutung dieses Kreuzes.
Vor zwei Jahren, sagt er, da war der Söder Markus noch Heimatminister oder so was. Und in dieser Funktion hat er durchgegeben, dass in allen öffentlichen Gebäuden ein Kreuz hängen muss. Wahrscheinlich um sich Punkte für die Wahl zum Ministerpräsidenten zu sichern, sagt der Antiquitätenhändler. «In allen Amtsstuben und öffentlichen Gebäuden, verstehen Sie. Naja, das hatten wir doch schon mal. Im Dritten Reich. Es war nicht das Kreuz damals, sondern das Hitler-Bild. Naja – und ich habe das Kreuz ins Schaufenster gehängt. An einen dünnen Faden.»
In den Quartieren übrigens, die die Touristen beiseite lassen, ist abends schon auch was los. Da treffen sich die Hiesigen. In der Tapas-Bar. Dort ist es ziemlich voll. Die Tapas sind super, der Wein auch. Nur ein Kellner nervt. Er macht dermassen auf fröhlich und muss dauernd singen. Alles sehr hip hier.
Hoi Urs
Liege seit Stunden gemütlich auf dem Sofa, tourte zuerst mit dir der Basler Grenze entlang und anschliessend durch den grossen Kanton. Bin begeistert!
Ein sehr interessanter und ausführlicher Bericht.