Spur durch Deutschland, Birsfelden – Wallbach, 12. Juni 2020. Nach Deutschland führt die Spur nach Berlin vorerst noch nicht. Die Grenzen seien weiterhin dicht, heisst es. Ich bin dem Schwarzwald trotzdem nah, den ganzen Tag lang. Nur der Rhein liegt dazwischen, und im schweizerischen Rheinfelden ist schon alles ziemlich normal.
Der Abschied ist hart, wenn man für zwei Monate verreist. Moni und ich essen ziemlich schweigend Frühstück, schauen uns immer wieder an und kurz vor neun gehen wir zum Birsufer, umarmen uns und winken uns zu. Ade!
Durch die Büsche bei der Schleuse sehe ich auf der Kraftwerkinsel die Wagenburg des Cafés «La Strada», wo wir gestern Abend Znacht gegessen, Wein getrunken haben. Alles dort ist noch ruhig. An den beiden Rheinhäfen ist das anders: Holländer und Franzosen entladen Schiffe, die Krane rumpeln vor- und rückwärts.
Am Weg entlang dem Rheinbord blühen vor der Kulisse der Tanks und Lagerhäuser Frühsommerblumen – Jakobskraut, Witwenblume, Nelken, Margeritten, Malven. Und oben der Lärm des Hafens und später jener der Fabriken aus der Schweizerhalle. Man sieht sie nicht, man hört sie nur, der Pfad durch den dichten Dschungel ist schmal, steil geht’s hinunter ins Wasser.
Das Handy klongt, ich schau die eingetroffene Meldung an, und eine Frau ruft mir zu, ich solle doch auf den Weg schauen. Ins Handy gucken könne ich auch zuhause. Sie sitzt auf einer Treppe, die zum Wasser führt, streicht das Fell eines grossen Hundes, und sagt, sie freue sich auf Montag, wenn die Grenzen wieder offen seien. Dann könne sie wieder mal dort drüben spazieren, am Strand des Ruderclubs Grenzach. Gerade eben vor einer Viertelstunde sei einer mit Rucksack wie ich durchgegangen, der auch ins Handy gestarrt habe.
Er sei auf dem Weg zur Rheinquelle, und ich sage, meiner führe nach München und später nach Berlin. Das findet sie seltsam, dass so ein wichtiger Weg vorbeigeht. Wir reden über den Hund, die Enten im Fluss, die er anbellt, die Katzen zuhause und den Biber, der hier am Ufer an den Bäumen nage. Später sagt sie, wenn ich noch lange rumschwatze, würde ich München nie erreichen.
Um eins bin ich aber bereits in Rheinfelden. Die Brücke über den Rhein ist nicht mehr gesperrt, doch irgendwo lauert gewiss ein Zöllner. In der Marktgasse stehen links und rechts gedeckte Tische, in Corona-Zeiten wird grosszügig aussenmöbliert, was Radfahrer vor ziemliche Herausforderungen stellt. Mein Durst ist immens, ich bestelle grad zwei halbe Liter, würde gern die Beine ausstrecken, aber sie kämen den Rädern in die Quere, besonders den Veloanhängern, die in ausserordentlich dichter Zahl vorbei defilieren. Ein Knirps mit Kindervelo und mächtigem Helm auf dem Kopf fährt auf und ab und ruft der Mutter zu: «Gsesch mi, Mami?» Er ruft das ununterbrochen, eine halbe Stunde lang, immer wieder, aber Mami kann ihn kaum sehen, weil sie telefoniert an einem Tischchen mir gegenüber. Die ganze Strasse sieht den Buben. Nur Mami nicht. Das ist hart für alle.
Eine Hochzeit steht an
Auch hier ist Frühsommer wie am Rheinbord. Ohne Blumen, aber mit Touristen, die Eis essen, bummeln und in die Boutiquen hineinschauen. Sie sind über Mittag geschlossen. Eine unbeschwerte Leichtigkeit in dieser Marktgasse, nur die Masken der Kellnerinnen und Kellner erinnern an die schwierigen letzten Wochen. Eine türkische Grossfamilie zieht vorbei Richtung Rathaus, wo das Standesamt sein muss. Herausgeputzt für die Hochzeit wie für einen doppelten Sonntag. Die jungen Männer in weissen Hemden, die Jacken am Zeigefinger über die Schulter geschlagen oder dann über den Arm gelegt. Alle ihre Köpfe frisch rasiert, sanft gehen die kahlen Flächen ins Schwarz der Haarpracht ganz oben auf dem Schädel über. Sie reden Schweizerdeutsch, die Hosen modisch zu kurz, die Socken weiss. Auch die Frauen haben sich dem Trend angeschlossen. Der Stoff der Röcke beginnt weit oben und hört auch bald wieder auf. Sie tragen Blumensträusse, sind unglaublich kunstvoll frisiert, ein schöner, feierlicher Anblick. Was für ein Frühsommer!
Ich breche dann auf, als auf beiden Strassenseiten die Boutique-Verkäuferinnen die Türen öffnen, Kleiderständer auf das Kopsteinpflaster rollen, wandere an prächtigen Villen vorbei, an Hotels auch. Weiter oben steigen die ersten Leute in den Rhein, der sich bräunlich westwärts wälzt und in Riburg suche ich den Volg auf, um etwas Wasser zu tanken und dergleichen mehr. In Riburg trifft sich die grosse Welt. Eine Speditionsfirma nach der anderen hat ihre Hallen aufgeschlagen, Güter aus allen Kontinenten werden ab- und ein- und umgeladen, und weil Freitag ist, parken 40-Tönner aus Litauen, Polen und auch anderen Ländern in dieser weiten, teerflächigen Welt. Die Chauffeure werden das Wochenende wohl hier verbringen.
Im Wald halte ich Ausschau nach zwei Bäumen, zwischen die ich die Hängematte spannen kann. Aber dann entdecke ich eine Edelherberge:
Vor der Wallbacher Waldhütte plätschert für die Toilette morgen früh, Rasur eingeschlossen, ein Brünnlein, und falls es regnen käme in dieser Nacht, könnte ich unterstehen. Wirklich – ein Freitag wie ein doppelter Sonntag.
Ich habe gearbeitet und sitze jetzt im Zug Richtung Zürich. Habe mit Freude deinen Bericht gelesen. Er hat mir den Feierabend sehr schön Willkommen geheissen. Viel Spass auf deinem grossen Wanderweg und tolle Erlebnisse wünsche ich dir. Freue mich schon auf deine nächsten Zeilen. Lieben Gruss Irene