Und nun ein Weilchen halblang

Spur durch Deutschland, Biberbach – Höchstädt, 5. Juli 2020. Aufgrund der aktuellen Situation, wie es in Covid-Zeiten in Bahnhöfen, Läden und überhaupt überall heisst, müssen wir die Strategie anpassen. Diese Sprüche kennt man allmählich zur Genüge. Auch wir müssen auf unserer Wanderung die Strategie anpassen, wissen nur noch nicht wie – aber nicht wegen Corona.

Wer genau hinschaut, sieht die Störche auf dem Kirchdach – und im Eiscafé San Marco schauen alle genau hin
Beim Essen der Pizza aus der Küche des FC Biberbach gestern Abend sind uns die Dutzende von anderthalb Meter hohen Baumstämmen in der Gartenwirtschaft des Gasthofs Magg aufgefallen. Überall stehen sie herum. Sie sind entrindet, auf halber Höhe allerdings hat man etwas Rinde stehen lassen und dort jeweils eine Jahreszahl eingekerbt: 2005, 2008, 2011, 2019 – alle Jahre dieses Jahrhunderts, ohne ersichtliche Ordnung. Beim Frühstück fragen wir den Wirt, worum es sich da handle. Er sagt: «Maibäume.» Okay, alles klar. Wir wollen ja nicht geschwätzig sein. Schauen uns in der Gaststube um – voller kluger Sprüche. «Freibier, das gibt’s erst morgen.» So. Ein Bild von Papst Ratzinger. Zwei Fussballwimpel: FC Bayern München und FC Augsburg. Beide Bundesliga, Augsburg ganz nah. Ich frage den Wirt, wen er unterstütze, wenn sie gegeneinander spielen. «Do bin i neutral.» Alles klar. Zum Abschied will er uns einen Pilgerstempel mitgeben, aber wir pilgern ja nicht.

Wir brechen auf, wandern ein letztes Mal durch Biberbach, steigen auf die Ebene hoch, hinter der Wertingen liegt, vierzehn Kilometer weit entfernt, und wandern an Getreidefeldern vorbei, Weizen und Gerste, Maisflächen, Tannenwald. Die Flächen wurden hier in den neunziger Jahren, als die EU mit der Subventionsspritzkanne lockte, neu aufgeteilt und den Bauern zugeordnet. Die Felder dehnen sich aus, soweit das Auge reicht, alles wächst stramm in die Höhe, ohne Unkraut, gut gedüngt und reichlich mit Unkrautmitteln versehen. Kein fremdes Pflänzchen wagt sich zwischen die Ähren. Auf kilometerlange Felder folgen schier endlose Tannenwälder, dann wieder Getreide.

Hier hat Öko keine Chance: Getreide, soweit das Auge reicht

So schön die Wege, so angenehm die Temperatur und so ideal das sonnig-windige Wetter – mich plagt der linke Fuss. Wir setzen uns an ein schattiges Bord, ich salbe ihn ein, bandagiere ihn und spüre, dass nun die Zeit gekommen ist, etwas auf «halblang» zu schalten. Vielleicht müssen wir unsere Wanderpläne neu ausrichten, uns sozusagen eine neue Strategie ausdenken. Lix hat grosses Verständnis, drängt nicht darauf, irgendein Ziel nun trotzdem anzupeilen und auf einer Ruhebank überlegen wir, wie’s weitergehen soll. Weit vorn die Donau. Wir vergessen den Fuss, weil ich nun nicht draufstehe und beginnen über den Grenzzaun zu reden, den die Römer vor etwa 2000 Jahren hier zwischen Donau und Rhein gezogen haben, den Limes. Lix ist Fachmann und weiss alles, auch wann die Germanen so aufsässig wurden, dass die Römer sich zum Rhein zurückzogen und dort die Wachttürme aufstellten, die ich am Anfang der Wanderung gesehen habe.

In Wertingen trifft man sich im Eiscafé San Marco

Dem Fuss geht’s nach diesen Lektionen noch nicht wirklich besser und als wir in Wertingen einmarschieren und neben dem geschlossenen Stehcafé «Brot trifft Bohne» eine offene Eisdiele sehen, setzen wir uns dorthin und tun, was ein Grossteil der Wertinger auch gerade tut: Eis essen. Auch dem Kirchturm nisten Störche und die Leute schauen hoch und gucken ihnen beim Nisten zu, was die Störche absolut nicht zu stören scheint. Sie gucken nicht einmal herunter in die Kameras der Leute, die sie fotografieren wollen. Dann schalten wir um auf ganz halblang, lassen uns über die Donau nach Höchstädt fahren, wo in einem dieser Monteur-Hotels ein Zimmer auf uns wartet. Noch wissen wir nicht, wie’s weitergehen soll, und so auf die Schnelle fällt uns auch nichts Gescheites ein.

Es ist vier Uhr, die Eisdiele vor der Kirche rammelvoll, da wollen wir nicht hin, denn zu viel Eis heilt den Fuss auf keinen Fall, doch das griechische Restaurant daneben ist trostlos leer. Vis- à-vis steht die Tür zum Heimatmuseum offen und wir treten ein. Da wurden ordentlich viele Dinge aus allen Zeiten zusammengetragen, bäuerliche Untensilien vom Pflug bis zum Dreschflegel, kirchliche Relikte noch und noch, und ganz besonders angetan haben es den Kuratoren des Museums die drei Schlachten vor den Toren Höchstädts: zwei im Rahmen des Spanischen Erbfolgekriegs 1703 und 1704 und die dritte, knapp hundert Jahre später im Zweiten Koalitionskrieg. Die näheren Umstände, warum es zu diesen Schlachten kam, haben wir zwar nirgends lesen können; französische, bayrische, österreichische, englische Truppen prallten in unterschiedlichen Koalitionen aufeinander und diese Schlachten haben engagierte Höchstädter mit Tausenden von kleinen Zinnsoldaten, Kutschen, Rössern, Kanonen und allem, was zu einem richtigen Krieg gehört, in riesigen Schaukästen dargestellt. In einem der Kriege kamen über 4000 Engländer um, 6000 Franzosen, 1600 Pferde starben und den Engländern fielen 60 Wagen mit französischen Frauen in die Hände.

Unbekanntes Ding im Heimatmuseum Höchstädt

Wir entdecken auch einen eigenartigen Kasten und wissen nicht, was das sein könnte. Die Kuratorin hebt einen Deckel dieses Kastens und drinnen beginnt etwas zu surren. Sie weiss nicht, was für ein Gerät das ist, ruft ihren Kollegen Franz, der auch den Deckel hebt, hineingreift und eine Fotoplatte herausnimmt. Er weiss nicht, was dieses Gerät sein könnte, wahrscheinlich etwas mit Photographie.

Bald wird jeder Platz auf dem Platz neben der Kirche besetzt sein

Nun sind die Tische des griechischen Restaurants zu mehr als der Hälfte besetzt, wir sitzen hin, hören griechische Musik, essen und schauen den Leuten zu. Halb Höchstädt trudelt ein, viele mit Fahrrad.

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