Die schrecklich schöne Deutsche

Spur durch Deutschland, Naumburg – Nellschütz, 30. Juli 2020. Tausende Touristen reisen nach Naumburg, um die schönste Frau Deutschlands zu sehen. Das ur-deutsche Ideal sozusagen. Dem kann ich mich nicht entziehen. Später begegnet mir dann auch hässliches.

Die deutsche Frau schlechthin: Uta (ca. 1000 bis 1046) mit ihrem Mann Ekkehard

In Naumberg ist eine Frau zu besichtigen, die für ziemlich viel Furore gesorgt hat. Erstens steht sie für eine neue Epoche, zweitens haben schon viele ein Auge auf sie geworfen, drittens war sie ziemlich reich und viertens einfach schön. Sie heisst Uta, steht im Naumburger Dom als eine der frühesten gotischen Figuren und ist deshalb so einzigartig, weil sie als eine der ersten Statuen die eher statischen Werke der romanischen Tradition ablöst. Und tatsächlich: Es ist aussergewöhnlich für die damalige Zeit, wie sie neben ihrem Mann Ekkehard steht, selbstbewusst, mit einer Krone, den Mantel mit der rechten Hand halb ins Gesicht gehoben, mit der linken zieht sie die andere Mantelhälfte näher an sich, als wolle sie sich vor aufdringlichem Blicken schützen.

Kunst mit Uta: In einer Ausstellung im Dom zusammen mit Nina Hagen
Und es haben sie schon Millionen von Menschen angestarrt, fotografiert, Romane über sie geschrieben oder Uta in Kunstprojekte eingebunden. Sie wurde Mitte des 13. Jahrhunderts erschaffen von einem unbekannten Meister, der aber mit diesem Werk für den Übergang von der Romanik zur Gotik steht und allen Kunsthistorikern ein Begriff ist. Uta ist ums Jahr 1000 auf die Welt gekommen, 1046 gestorben, war Ehefrau des Markgrafen Ekkehard II. von Meissen und eine der Stifterinnen des Doms, weshalb ihr 200 Jahre nach dem Tod die Ehre zuteil wurde, in Stein gehauen zu werden. Kinder hatte sie keine, aber unzählige deutsche Mütter haben ihre Töchter nach ihr benannt. Denn das Angesicht und die Gestalt der Naumburger Uta sind makellos, makellos schön. Das erkannten auch die aufs Deutschtum fixierten Nazis, die sie zur idealen deutschen Frau stilisieren wollten. Das wiederum ist Walt Disney nicht entgangen, als er durch Europa reiste, und deshalb ist die Uta für ihn zum Vorbild geworden für die schrecklich böse Königin beim Schneewittchen.

Naumburg wimmelt von Touristen, als ich losziehe, und das gefällt dem ansässigen Gewerbe. Die Stadt lebe vor allem vom Tourismus, sei sehr bekannt in Mitteldeutschland, erzählt mir die Zimmervermieterin. Es habe wenig Industrie, die Stadt sei ein Verwaltungszentrum vor allem auch für juristische Belange und für die Ausbildung. In der riesigen Kaserne an der Flemmingerstrasse, die die Nazis gebaut und die Russen später genutzt hätten, würden zum Beispiel Deutschkurse für hochqualifizierte Arbeitskräfte aus fremdsprachigen Ländern und anderen Kontinenten angeboten.

Einige paddeln auf der Saale, andere machen ein Nickerchen

Die Touristen besuchen nicht nur Uta, sie radeln auch durch die Landschaft und paddeln in Gummibooten und Kanus auf der Saale. Ich begegne ihnen auf Schritt und Tritt. Unter einer mächtigen Weide mache ich Mittagspause und höre dem Geplauder der Vorbeiziehenden zu. Es ist wieder sehr heiss, und da unten ist kaum Wind zu spüren. Ich frage mich, wieso denn all die Windräder trotzdem drehen. Mein Weg führt von der Saale weg, direkt nach Weissenfels, einer Stadt mit rund 40000 Einwohnern. Wiederum wandere ich durch Wälder, die stellenweise aus dürren Bäumen bestehen, aufrechten und gefallenen, und es heitert mein Gemüt nicht auf, als ich den Waldrand erreiche, ins Freie trete und auf dem wohl ausgedehntesten Einkaufs-Center-Parkplatz stehe, den ich je gesehen habe. Vom Baumarkt über Möbelhäuser bis zu Aldi hat sich hier alles versammelt. Die meisten Parkplätze sind zwar leer, es hätte Platz für die PW’s zweier Bundesländer.

Düstere Aussichten

Ich brauche meine Zeit, bis ich die Teerwüste durchschritten habe und an einem Schrebergartenareal vorbeiwandere. Er ist älteren Datums, man erkennt es an den alten Wegen, an den Zäunen. Er muss schon zu DDR-Zeiten bestanden haben. Die Gartenhäuser sind kleine Festungen, aus Stein und Beton und mit festen Dächern – ich frage mich, was für Geschichten sich da abgespielt haben. Das tue ich auch beim Anblick der hübschen Villen am Rande von Weissenfels. Hier dürften einst SED-Leute für ihre Taten mit Wohnrecht belohnt worden sein und es mag nach Kalauer tönen, aber eine der Villen erinnert mich sehr an die Fernsehserie Weissensee.

Aber ich bin in der Realität von Weissenfels, nicht in der Fernsehserie. Bei einem Schorle höre ich den Männern zu, die über den Gerichtsbericht in der Mitteldeutschen Zeitung reden. In Halle, nicht weit weg von hier, steht der Mann vor Gericht, der im letzten Oktober in einer Synagoge zwei Menschen umgebracht und weitere verletzt hat. Die Männer sind sich einig, dass das nicht geht. Das ist krank. Ohne Grund, sagt einer. Sie sind besorgt, dass junge Leute so was tun. Ich verstehe nicht alles, schon wegen des Dialekts, aber sie schweifen ab. Doch irgendwann sagt einer: «Die Türken sind gekommen, um zu arbeiten. Die tun was. Nicht so wie Merkels Lieblinge.» Nun verstehe ich, dass sie unterdessen von Flüchtlingen reden. Die CDU stellt hier im Stadtrat 10 Abgeordnete, die AfD sieben und weil dort, wo der Teufel hinmacht, das Übel gedeiht, hat vor einem Jahr auch die NPD über 500 Stimmen gemacht, was aber nicht für einen Sitz reichte.

Weissenfels in Sachsen-Anhalt

Ich wandere durch die Stadt, die nun ziemlich das Gegenteil vom touristischen Naumburg ist. Hier ist nicht zurechtgemacht und renoviert worden, Weissenfels hat sich noch nicht vom Zusammenbruch der Schuhindustrie, die vor der Wende bedeutend war, erholt, und die Chemische Industrie dümpelt vor sich hin. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, ganze Häuserreihen stehen im freien Zerfall, was sich bewegen soll, verlottert, Drähte hängen von Dächern herunter, der Abfall liegt am Strassenrand und in den verlassenen Vorgärten. Der Gehsteig ist eine einzige Stolperfalle voller Hundekacke, und wenn die Leute hier Hunde haben, sind es grosse Hunde. Es stinkt.

Das ist das andere Sachsen-Anhalt. Ein Hinweisschild «Novalis-Gedenkstätte» lenkt mich in einen Hinterhof, der offensichtlich einmal ein gepflegtes Plätzchen mit einer Gartenlaube war, wo der Dichter geehrt wurde. Nun ist aber alles verwildert, das Gras steht hoch, die Büsche wuchern und in der Laube ist wohl schon lange niemand mehr gesessen. Novalis hat hier als Beamter sein Brot verdient und ist 29-jährig an Tuberkulose gestorben.

Stoppelfelder, Industrie und Windräder, so weit das Auge reicht

Es hält mich nichts in Weissenfels, zumal ich für 30 Euro eine Unterkunft in einem Dorf eine gute Stunde ausserhalb in Aussicht habe. Ich kaufe ein Picknick und wandere hoch zur Autobahn, gelange in ein Dorf namens Borau, wo ich in die Lenin-Strasse einbiege, an der ein Gedenkstein zum 500-Jahr-Jubiläum der Reformation steht. Es ist alles ein bisschen durcheinander hier, dünkt mich. Die Sonne brennt, die Windräder drehen und in der Ferne sehe ich überall am Horizont Chemietanks und Fabrikgebäude. In Nellschütz wohnen rund 150 Leute und als ich suchend durch die Strasse gehe, ruft eine Frau: «Sind Sie der Wanderer aus der Schweiz?»

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