Spur durch Deutschland, Ulm, 7. Juli 2020. Wer schon im schiefsten Hotel der Welt schläft, soll auch deren höchsten Kirchturm besteigen. Es ist keine Legende: Vom Ulmer Münster sieht man tatsächlich die Alpen. Dann kommt Hugo.
Einsteins Relativitätsformel «E = mc2» lockt in Schaufenstern und auf Kuchen, für den fliegenden Schneider Berblinger waren zu seinem 250. Geburtstag in diesem Jahr verschiedene Veranstaltungen geplant, die nun wahrscheinlich erst im kommenden stattfinden. Dann werden möglicherweise auch wieder mehr Touristen die Stadt besuchen, und die Betten in den Hotels dürften besser belegt sein.
Lix und ich frühstücken ganz allein auf der Laube des weltschiefsten Hotels, schauen den Forellen zu, die im Kanal nach Futter schnappen, junge Enten schwimmen über sie hinweg, und dann geht Lix auf den Bahnhof, fährt zurück nach Bern und ich bringe in einem Waschsalon meine Kleider in Ordnung. Wo immer man steht in dieser Stadt – es lockt einen der welthöchste Kirchenturm, und ich kann der Versuchung nicht widerstehen, hinaufzusteigen. Leider habe ich zu spät erfahren, dass es 560 Stufen bis zur obersten, öffentlichen Plattform sind, aber da bin ich schon unterwegs.
Zuerst erstaunt mich auf der Plattform, dass ich auch hier fast der einzige Tourist bin, und dann erkenne ich in der Ferne tatsächlich die Alpen als dunkle Erhebungen am Horizont. Sie erscheinen nicht als besonders mächtige Berge dort weit hinten, was vielleicht damit zu tun hat, dass der Kirchturm so hoch ist. Das ist natürlich ein Blödsinn, aber dennoch kommt mir in der Stadt, wo überall die E = mc2-Formel zu sehen ist, plötzlich alles relativ vor und zwar nicht nur theoretisch sondern auch praktisch, weil mir ein bisschen schwindlig geworden ist beim Abstieg über die enge Rundtreppe des Kirchturms.
Die Menschen in der Stadt pflegen freundliche Umgangsformen, entschuldigen sich, wenn sie in einen hineinlaufen – nichts Gehetztes hier, nichts Aufgeregtes. Ich fühle mich wohl, mir gefällt zum Beispiel, wie in der Innenstadt neue Gebäude die Formen der alten Architektur aufnehmen, die spitzen, hohen Hausdächer, die fehlenden Vordächer – die neuen Bauten sehen aus wie die Kinder, die ihren Müttern und Grossmüttern ähneln.
Ausgestattet mit solcherlei Wissen erkunden wir zu zweit das Fischerviertel, die Stadtmauer, andere Quartiere. Auch hier: die Häuser kommen irgendwie aus dem gleichen Stall, man merkt, dass es eine prägende Architektur gibt in dieser Stadt. Wir schlendern, schwatzen von Fuss-, Rad- und Töfftouren, vom Roxy in Birsfelden und dergleichen mehr. Wespen wollen teilhaben an unserem Abendessen, eine kühle Bise weht uns um die Ohren, wir brechen auf, holen eine warme Jacke im Hotel und suchen einen geschützten Ort für einen gepflegten Schlummertrunk.