Rund ums Baselbiet, Etappe 10 von Lupsingen nach Bretzwil – 9. März 2020. Wettermässig gibt es heute von allem ein bisschen: Regen, Sonne, Schnee, wieder Sonne – vorgezogenes Aprilwetter halt. Dort, wo das Wetter so richtig garstig daherkommt, entsteht ein Roboter-Melkstall für fünfzig Kühe.
Man kommt auf einer Wanderung rund um den Kanton recht häufig an Bauernhöfen vorbei. Hinter Lupsingen, wo der Briefträger die Briefe direkt vom Autofenster aus in die Briefkästen kippt, weshalb die Post von den Leuten verlangt, die Kästen möglichst freistehend an den Strassenrand zu postieren – hinter Lupsingen also, da liegt auch wieder so ein Hof. Nun gibt es gepflegte Höfe. Und es gibt Höfe mit einer kreativen Umgebung. Das liegt dann jeweils nicht nur an Kinderspielzeugen, die so malerisch in der Landschaft stehen oder liegen. Vielmehr an landwirtschaftlichen Gebrauchsgegenständen, die nun halt eben schon eine ganze Weile nicht mehr gebraucht werden und zum Beispiel Moos ansetzen oder malerische Flechten, wenn sie aus Holz sind, oder Rost, wenn die Objekte aus Metall sind. Bis tief in den Wald hinein, wo sich mein Weg hinzieht, liegen Artefakte herum, dann steige ich über gestürzte Bäume, vom Hof bellt mir ein Hund nach und ich stakse aufwärts an der Schneematt vorbei zum Ebnet, durch einen Wald, der sich Späckbäumli nennt, vielleicht weil da früher mal Schweine geweidet haben und somit der Speck gewachsen ist, und immer weiter, bis mich eine Sitzbank mit Tisch an den Stundenhalt erinnert.
Dort sitze ich, hinter mir Ziefen unten im Tal, vor mir Reigoldswil. Genau vis-à-vis der Hof «Bütschen», wo Bruder Mathias einst gearbeitet und seine Frau Rita kennengelernt hat. Ich knipse ein Bild, schicke es ihnen und wandere weiter. Gaushard heisst ein weiterer Hof, der sehr ordentlich übers Talbächlein grüsst, es beginnt etwas zu nieseln, linkerhand sehe ich eine Teerpiste mitten auf einem Feld und denke nach, bis mir die Idee kommt, dass dies ein Start- und Landeplatz für Modellflieger sein könnte.
Es regnet stärker, weit vorn geht an einem weiteren Hof mein Weg Richtung Dietel vorbei, wo die Baselbieter Kantonsgrenze einen markanten, fast rechten Winkel von der Ost-West-Richtung in eine nord-südliche macht. Neben diesem Hof karren mächtige Trax und Bagger Felsbrocken und Erde in klobige Laster, die das Material ein paar Meter weiter hinten zu einem Wall aufschichten. Ein paar Männer stehen herum und beraten irgend etwas. Der Regen geht in Schnee über, die Männer reden weiter, ich eile dem Hofgut entgegen, das sehr ordentlich aussieht und Rechtenberg heisst. Ein herrschaftliches Haus mit ein paar eindrücklichen Bäumen davor.
Dann löst sich die Gruppe der Männer auf, die Trax und Laster karren weiter Material und Erdreich vor sich her, was das Zeug hält, es schneit sehr und mir wird nicht klar, was da entstehen soll. Einer der Männer zeigt mir dann einen Plan: Ein grosser Kuhstall soll gebaut werden. Dann steigen die anderen Männer in ihre Autos, fahren weg und einer bleibt zurück – der Pächter. Er erzählt mir, dass der Rechtenberg ein Gutshof sei, der Basler Herren gehöre. Zahn heissen sie, ehemals Sarasin. Sagt er. Er hat das Land für fünfzig Jahre im Baurecht übernommen und baut nun einen Milchroboter-Kuhstall für fünfzig Kühe. Ziemlich gross, dreissig auf fünfzig Meter, aber nicht soooo gross. Sagt der Pächter. In Hochwald steht einer für zweihundert Kühe. Der ist dann schon gross. Er zeigt mir auf einem Plan, wo die Kühe stehen und herumgehen werden, wo der Roboter melken wird und wo dann die Milch hinfliesst. Das ist alles sehr durchdacht.
Im September soll der Stall bezugsbereit sein. Wenn nichts gefunden wird. Saurier oder so. Er spricht leiser, als ob er auf einem Geheimnis sitze. Ich frage, ob hier denn Funde versteinerter Saurier erwartet würden. Ja, Saurier. Oder Römisches. Man habe beim Bau der Gasleitung weiter drüben Römisches gefunden und jetzt seien beim Aushub ständig zwei Archäologen dabei, die genau beobachteten, was da zum Vorschein komme. Er hofft wirklich sehr, dass da nichts Römisches kommt.Bis jetzt haben sie noch nichts gesehen, und er hofft, dass das so bleibe. Sonst seien schnell drei Monate futsch. Ich frage nach den Gutsbesitzern, und er sagt, er sehe sie nicht oft. Einmal im Jahr. Höchstens zwei Tage. Um zu sehen, was da oben so gehe. Aber Sommerurlaub oder sowas – nein, das machten sie nicht. Seit das Fliegen so billig sei nicht mehr.
Es schneit stärker, der Wind bläst eisig entgegen und ich steige zu einem Stall weiter oben auf der Wiese hoch. Dort stehe ich wieder ins Trockene, bis plötzlich die Sonne durchbricht und ich zum Hof Dietel steigen kann, wo viele Pferde in einer Schlammwüste stehen und mich anglotzen. Der Grenzstein, der hier den rechten Winkel der Grenze markiert, steht vor dem Hof, der dahinter im Solothurnischen liegt. Dann folge ich dem Wanderweg rund um den Hügel, der sich Brang nennt und wo die Grenze drüber geht, steige einen Grashang hinunter und beende meine heutige Etappe auf der Strasse zwischen Nunningen und Bretzwil. In Bretzwil sitzen im Retaurant Blume vier Männer, die Wirtin und die Serviertochter eng zusammen an einem Tisch. Die Männer haben je ein Bier vor sich. Sie sprechen darüber, was sie im Blick gelesen haben und in «20 Minuten». Die Corona-Katastrophe in Italien nehme kein Ende. Gut, dass die Fasnacht abgesagt worden ist. Sagt einer. Auch wenn das ein bisschen unheimlich ist. In Deutschland spielen sie immer noch in vollen Stadien. Das ist aber auch ein wenig unheimlich. Dieses Corona-Zeugs macht langsam Angst, sagt die Wirtin. Solche Sachen berichten sie einander. Dass man die Hände gut waschen soll. Nicht zu nahe beieinander sitzen. Sie werfen immer wieder Blicke zu mir herüber. Zwei Meter Abstand haben wir gewiss. Das dann schon.