Von den vielen Kaffeeröstereien im letzten Jahrhundert haben nur wenige überlebt. Es braucht eine clevere Geschäftsidee, um gegenüber den grossen bestehen zu können.
Bertschi-Chef Hans-Jürg Reber in seinem Rohstofflager: Hier lagern 150 Tonnen Kaffeebohnen aus Mexiko, Südamerika und Afrika.
Länger als eine Viertelstunde dauerte so ein Spiel an einem Grümpelturnier nicht und so lange hielten es die Spieler aus dem Nachbardorf in ihrem kratzenden Dress jeweils aus. «Cafe do Brasil» nannte sich das Team. Zu Ehren der Rösterei in ihrem Dorf liefen die Burschen mit übergestülpten Kaffee-Jutesäcken auf, je eine Öffnung für den Kopf und zwei Löchern für die Arme hatten sie herausgeschnitten. Die Mannschaft gibt es längst nicht mehr, die Kaffeerösterei auch nicht.
Bis weit in die 70er Jahre rösteten viele kleine Betriebe in der Schweiz den Kaffee für die nähere und weitere Umgebung, doch einer nach dem anderen musste aus Kostengründen den grossen Röstereien der Grossverteiler weichen. Nur wenige kleine überlebten, unter anderen die «Fritz Bertschi AG» in Birsfelden bei Basel.
Bertschi hatte ein besonderes Geschäftsmodell: Der deutsch-schweizerischen Grenze entlang betrieb die Firma nach dem Zweiten Weltkrieg von Basel bis nach Schaffhausen rund vierzig kleine Kioske, in denen vor allem auf deutscher Seite Kaffee zu günstigem Preis ausgeschenkt wurde. Die Rösterei stand am Rand des damaligen Flugplatzes Sternenfeld in Birsfelden, die Verkehrswege zu den Kiosken waren kurz, und das Geschäft florierte, weil Deutschland auf Kaffee eine Luxussteuer erhob. Darum war Schweizer Kaffee vergleichsweise billig.
Die Rösterei Bertschi AG zwischen den Lagertanks im Hafen Birsfelden.
Das Gebäude der Bertschi AG steht noch immer am gleichen Ort, die Umgebung hat sich aber gewaltig verändert. Ringsum stehen die riesigen Öltanks des Birsfelder Hafens. Die Kaffeerösterei dazwischen wirkt etwas verloren. Hans-Jürg Reber, seit 2003 Inhaber und Geschäftsführer der Firma, betreibt längst keine Kioske mehr. «Die Frankenstärke gegenüber der D-Mark hat dem damaligen Modell um 1990 den Garaus gemacht», sagt er. «Bertschi-Kaffee war in Deutschland nicht mehr konkurrenzähig.»
Bio- und Fairtrade-Nische
Die Bertschi AG brauchte eine neue Nische und fand sie im aufkommenden Bio- und Fairtrade-Markt. Man suchte die Zusammenarbeit mit bäuerlichen Kooperativen in Mexiko, Südamerika und Afrika und begann, in der Schweiz einen der ersten Max-Havelaar-Kaffees zu rösten und zu verkaufen. Als Hans-Jürg Reber die Bertschi AG übernahm, intensivierte er das Marketing und konnte so viele Kunden überzeugen, dass er heute mehr als zuversichtlich in die Zukunft blickt.
Während er im bescheiden eingerichteten Konferenzzimmer von seinen regelmässigen Besuchen bei den Bauern-Kooperativen in Mexiko und Südamerika berichtet, tritt Röstmeister Agron Komani mit zwei Espresso-Tassen herein. Er reicht ein Getränk seinem Chef und eines dem Gast. Ungezuckerter, schwarzer Kaffee. Reber nimmt einen Schluck, schlürft ihn prüfend und sagt: «Der ist okay, etwas runder und stärker als der letzte Durchgang.»
Als Geschäftsführer testet er jeden Röstdurchgang. «Das heisst: Alle zwanzig bis dreissig Minuten ein Schluck Kaffee», sagt er. Eine einzige faule Bohne könne die ganze Partie verderben und er selbst stehe dafür gerade, dass kein schlechter Kaffee in den Verkauf komme. Reber nimmt den Faden des Gesprächs wieder auf, das durch den Kaffee-Test unterbrochen worden war, und erzählt, wie er die Kooperativen überzeuge, wirklich biologische Kaffeebohnen zu produzieren. Erstens natürlich, indem er einen höheren Preis zahle. Die Bauern der Genossenschaft «Uciri» in Mexiko erhalten 15 Pesos für das Kilo Bohnen, lokale Zwischenhändler würden nur sieben zahlen. Entscheidender aber sei, sagt Reber, dass er im Voraus zahle. Das sei eine Frage des Vertrauens, das ihm zurückgegeben werde, indem er einwandfreie Ware erhalte. «Indem ich voraus zahle, kann ich den Bauern auch klarmachen, dass sich der aufwendigere Bioanbau lohnt.»
Bohnen aus dem Zweiten Weltkrieg
Auf dem Weg zum Lager im Untergeschoss beantwortet er die etwas laienhafte Frage, warum man Kaffee denn hier in der Schweiz und nicht schon in den Herkunftsländern röste. «Erstens wegen der Transportkosten: Röstet man die Kaffeebohnen, legen sie um ein Drittel an Volumen zu», erklärt er. «Und zweitens verlieren geröstete Bohnen nach drei Monaten den Geschmack. Unverarbeitete dagegen sind nahezu unbeschränkt haltbar.» Er erzählt, dass er einmal Bohnen, die im Zweiten Weltkrieg gehortet worden waren, geröstet habe. «Der Kaffee war durchaus trinkbar.»
So viele Jahre müssen seine Bohnen im Lager aber nicht aufs Rösten warten. 150 Tonnen liegen da, in traditionellen Jutesäcken gestapelt – Bohnen aus Mexiko, Brasilien, Nicaragua, Uganda … Der teurere Arabica, der bis in Höhen von 2500 Metern über Meer wächst und der etwas günstigere, koffeinhaltigere Robusta, der bis auf 500 Höhenmeter gedeiht. Bertschi AG verabeitet rund 400 Tonnen im Jahr, das sind etwa 0,6 Prozent des schweizerischen Bedarfs.
Wir begleiten Röstmeister Komani, der zwei weitere Testtassen in den Lagerraum gebracht hat, hinauf zu seinem Ofen. Mit drei Gasflammen reguliert der gebürtige Kosovare, der seit zehn Jahren hier arbeitet, das Röstgerät. Die Temperatur zeigt 185 Grad, als er eine neue Ladung in den Kessel kippt. Die zimmerwarmen Bohnen kühlen den Kessel ab und Komani dreht die Flammen sachte auf, bis die Temperatur gegen 225 Grad steigt. Zwanzig Minuten dreht sich der Kessel, erhitzt die Bohnen, bis sie durch und durch geröstet sind.
Ein Knacken wie beim Popcorn
Thermometer zeigen die Temperatur an, Uhren zählen die Sekunden, doch Komani beachtet sie kaum: «Ich röste mit den Augen und den Ohren – wenn die Bohnen zum Beispiel zum ersten Mal knacken wie Popcorn, gibt’s Kaffee, knacken sie zum zweiten Mal, wird es Espresso.» Grossröstereien verkürzen den Vorgang bei höheren Temperaturen auf drei Minuten, sagt Komani. Das habe zur Folge, dass sie aussen zwar dunkel würden im Kern aber hell blieben. Und das habe natürlich Auswirkungen auf die Qualität des Kaffees.
Emine Gönül packt den frisch gerösteten Kaffee ab.
Im Nebenraum packen zwei Frauen die frisch gerösteten und abgekühlten Bohnen in Kilo- und Halbkilosäcke, vakuumisieren sie und machen sie bereit für den Verkauf – in Restaurants, für ausgewählte Detailhändler, aber auch für Coop. Zehn Leute beschäftigt die Bertschi AG, inklusive Sekretariat und Aussendienst – «aber wir arbeiten wie zwanzig», sagt Patron Reber.
Die Kaffeerösterei ist zu einer Leidenschaft geworden, die sich bei Reber auch in einem Sammeleifer ausdrückt. Bald, nachdem er sich dem Kaffee verschrieben hat, begann er ein privates Museum aufzubauen, das er ganz unspektakulär in einem Container neben dem Betriebsgebäude eingerichtet hat. Röstmaschinen aus dem letzten und vorletzten Jahrhundert stehen da; Öfen aus kleinen Röstereien, aus Privathaushalten, aus Armeebeständen oder ein «John-Wayne-Röster» fürs Lagerfeuer zeugen von der Kaffeekultur vergangener Zeiten. Und dann natürlich die Kaffeemaschinen: Sie erzählen die Kulturgeschichte des Kaffees in Haushalten, Büros und Restaurants. Irgendwann will Reber dieses Museum zugänglicher machen, als es jetzt ist.
«Seit der Kaffee vor über zweihundert Jahren Europa eroberte, hatte er immer wieder einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft», sagt Reber. «Heute ist Kaffeetrinken teilweise zu einem Zeremoniell geworden.» Das zeige sich daran, dass wieder mehr Kleinröstereien in Quartieren und in Dörfern entstünden – viele davon würden als Hobby betrieben. Und dann weist er auf einen neuen Trend hin: Der zur Zeit etwas verpönte Filterkaffee sei wieder im Kommen.