Rund ums Baselbiet, Etappe 14 von Anwil nach Maisprach – 25. März 2020. Bauern führen Gülle aus, eggen die trockenen Felder und wirbeln Staubfahnen auf und dann erinnert mich ein entgegenrennender Hund daran, dass mein letzter Arbeitstag bevorsteht.
Kurz vor zehn marschiere ich bei der Postauto-Haltestelle Kreuz zwischen Anwil und Kienberg los. Es ist kühl, steife Bise nennt man das. Irgendwo dort vorn, wo die Ebene des Tafeljuras steil ins Tal gegen Wittnau abfällt, ist das Drei-Kantone-Eck Solothurn-Baselland-Aargau. Ich steige Felder runter, gehe durch einen Wald zum Heimetlosenplatz und stelle mir vor, dort würde ein schmucker Grenzstein stehen, der die Nordwestschweiz zusammenhält. Nichts dergleichen. Vagantenplatz soll das steile Tälchen auch mal geheissen und keinem der drei Kantone gehört haben. Ein Platz für Fahrende. Oder Vaganten. Was weiss ich! Klares ist da nicht in Erfahrung zu bringen und es scheint auch nicht, dass hier reger Spaziergängerverkehr herrsche. Gestrüpp, Dickicht.
Ich lasse den Heimatlosenplatz sein, wie er ist, und ziehe los, Richtung Wittnauerberg, an mächtigen Traktoren mit riesigen Tankanhängern vorbei, die Gülle auf die Felder verteilen, es stinkt recht beachtlich, die Luft riecht – sagen wir mal – würzig, in der Ferne die Jurakette, wo ich in den letzten Tagen drüber marschiert bin. Kurz vor dem Wald, der Anwil im Norden vom Aargau trennt, treffe ich wieder mal auf ein Jubiläumsbänklein der Kantonalbank, auf dem steht, dass Anwil «Ammel» heisse und im Baselbieterlied vorkomme, was mir durchaus bekannt ist.
Zum Buschberg hin zieht sich ein sehr schöner Wanderweg, er geht in einen Pfad über, der zu einer offenen Kapelle führt. Sie ist an dieser Stelle errichtet worden, weil ein Müller aus Kienberg dank einer offenbar göttlichen Fügung nicht von seinem eigenen Fuhrwerk überfahren worden ist, von dem er gestürzt ist und das einen schweren Mühlstein transportierte. Ich setze mich eine Weile hin, geschützt vor der scharfen Bise. Dann macht die Baselbieter Kantonsgrenze einen schmalen Schlenker nach Norden und führt darauf eine gute halbe Wanderstunde westwärts einem Weg entlang, bis sich durch eine Waldlichtung hindurch weit vorn plötzlich die Farnsburg zeigt. Ich steige hinab zum Asphof, setze mich auf eine Wiese und esse ein Brot. Rechts unten Wegenstetten, links die Jurahöhen vom Passwang bis zur Wisenfluh und vor mir die Ebene zum Hofgut Junkerschloss, wo ich bald durchgehen werde.
Eine seltsame Ebene: Da oben, zwischen Hemmiken und Buus, liegen staatliche Bauernhöfe weit abgelegen von den Dörfern im Tal, als ob sie nirgends dazu gehörten, zum Teil sind es kleine Weiler. Die meisten Bauern da oben bringen Gülle aus oder eggen, düngen anderswie, es hat normale Betriebe, viel Biobetriebe aber auch. Beim Rütihof, der auf der Kantonsgrenze liegt und wahrscheinlich zu Hellikon gehört, rennt wie aus dem Nichts ein grell bellender Hund auf mich zu. Ein Bastard, scheint mir, mit einem gehörigen Schuss Appenzeller, giftig blitzt er mich an, heftig sein Gebell. Ich erstarre. Da kommt eine gemütlich wirkende Bäuerin aus dem Haus, ruft mir zu, er sei ein ganz lieber, er tue nichts, keine Angst.
«Dazu ist er angestellt!» So rufe ich, versuche mich etwas anzubiedern.
«Was?» ruft sie zurück.
«Dazu ist er angestellt!»
«Genau!» Sie lacht und lockt den Hund zu sich. «Komm, Benno, komm!»
Beim Weiterwandern muss ich unvermittelt und auch ein bisschen wehmütig an meinen Job denken, an die Redaktion, aus der ich mich bald für immer verabschieden werde. Irgendwie hat mich der bellende Benno daran erinnert.
Schöne Wege über dieses Plateau, mal geht’s ein bisschen auf-, dann abwärts. Im Junkholz oberhalb Zuzgen haben sie radikal geholzt, es sieht erschreckend aus. Weiter vorn ziehen Traktoren schwere Geräte über die trockenen Äcker, wirbeln Staub auf, den die Bise über die Horizonte weht. Durch einen Wald führt ein schmaler, ausgetretener Banntagspfad zum Schöneberg oberhalb Maisprach. Von dort geht’s 200 Höhenmeter runter zur Eggmatt und sofort wieder hoch zum Aussichtsturm auf dem Sunneberg. Es ist kalt geworden, der Turm steht im Gegenlicht vor mir. Ich warte, bis die Leute, die ich oben höre, unten sind, damit wir uns auf der schmalen Treppe keine Corona-Viren anhusten. Oben dann, auf der Aufsichtsplattform sieht man zwar nicht sehr weit im dunstigen Licht, aber der Wind bläst heftig durch die Ritzen. Lang bleibe ich nicht oben. Es geht nun stetig abwärts, ziemlich steil sogar. Ein Mountain-Biker rast an mir vorbei, unten an einer Familie, die hochsteigt. Die drei Kinder stieben auf beide Seiten weg. Hinter ihnen zwei Männer. Es hat Leute, als ob es kein Corona gäbe. Unten auf der Kantonsstrasse wird mich Moni abholen.
Unten morgens geht’s an dieser Stelle auf die letzte Etappe der Rundwanderung