Schön ist anders! «Dickblatt», «Crassula», «Geldbaum», «Pfennigbaum» nennen es die Botaniker. Es wächst, seit die GSOA erstmals so richtig gefeiert hat.
Das GSOA-Deckblatt besetzt den sonnigsten Platz – und das mit dem Schneemann ist nur ein Scherz
Es war am Sonntag vor 28 Jahren, am 26. November 1989, als die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee sich nach der Mittagszeit in der Kaserne in Basel traf. Erst die Gründer, dann der harte Kern ihrer Anhänger, später ganz gewöhnliche Anhänger und Sympathisanten und von letzteren immer mehr, so dass die Reithalle zu eng wurde und erst alle Tische und Stuhle rausgetragen, dann noch andere Räume kurzerhand dazu gemietet wurden. So war das.
Es wurde Wetten abgeschlossen, wieviel Prozent Ja-Stimmen die Initiative für eine Schweiz ohne Armee machen würde. Wer auf 35 Prozent wettete, musste 35 Franken einzahlen. Solche Sachen machten die! Auf der Bühne stand ein Flügel, der bespielt wurde in Begleitung einer Querflöte und als die 30 Prozent Ja-Stimmen aus Appenzell-Ausserrhoden und Glarus bekannt wurden, brach erstens ein frenetischer Jubel los, der im Laufe des Nachmittags immer neu und immer lauter aufbranden sollte, und zweitens sagte eine Frau: «Es sage denen noch jemand Hinterwäldler.»
Mariella Mehr las vor und Fritz H. Dinkelmann ebenfalls. Es wurden Gerüchte laut, in gewissen Quartieren, ja sogar in einzelnen Kantonen sei der Initiative zugstimmt worden. Erst war das Fest ein Anlass für die jungen, wilden Leute. Doch am Nachmittag strömten zusehends ältere Personen herein. Eine Frau sagte: «Als ich die ersten Ergebnisse hörte, hielt ich es zu Hause nicht mehr aus.» Sie habe gestrahlt, heisst es im Zeitungstext des Tages-Anzeigers.
Der grosse Durchbruch
Später dann gibt die GSOA eine Pressekonferenz. Andi Gross, einer der GSOA-Gründer, sagt: «Das ist der Durchbruch einer nationalen Mauer.» Gut zwei Wochen zuvor war bereits eine Mauer gefallen, jene in Berlin. Er sagte vieles andere auch, zum Beispiel, dass nun der Zivildienst eingeführt werden müsse und dass die Schweizer und die Schweizerinnen gezeigt hätten, dass sie den Anschluss an ein sich wandelndes Europa nicht verpassen wollten. Für Andi Gross war es auch der Start in eine Umlaufbahn, die ihn zuerst in den Nationalrat und dann als Wahlbeobachter rund um den Erdball führte.
Andi Gross ist seither etwas älter geworden, andere GSOA-Mitstreiter natürlich auch, wie dieses Bildi zeigt, das am 28. Jahrestag der legendären Abstimmung von einer fröhlichen Männergruppe gepostet wurde. (Übrigens: Was das alles mit dem Dickblatt respektive Geldbaum oder Crassula zu tun hat, folgt grad nach dem Bildli mit den heiteren Männern.)Unbekannter Facebook-Post – oder kennen wir die?
Also jetzt zum Dickblatt: Das alles, was da in der Basler Kaserne geschah, war – wie gesagt – tags darauf im Tages-Anzeiger zu lesen. Der Text wurde auf einem urzeitlichen Notebook verfasst. Er sollte mit einer vorsintflutlich anmutenden Installation per Telefon in die Redaktion übermittelt werden. An diesem denkwürdigen Abend hatten die Telefonapparate in der Kaserne allerdings beschlossen, keinen Dienst zu tun. Also stieg ich aufs Velo, raste ins Basler Büro des Tages-Anzeigers Im Langen Loh, wo ich zusammen mit Kollege Felix versuchte, die Zeilen nach Zürich zu senden. Der Redaktionsschluss war nah, die Nervosität gross und in der Aufregung nestelte ich am Blatt einer dort darbenden Zimmerpflanze herum und stellte erschreckt fest, dass ich es abgerissen hatte. Ich steckte das Blatt verschämt in die Jackentasche, wo ich es zuhause wieder entdeckte.
Wenn Andi Gross es gerne hätte …
Noch immer schämte ich mich, die Zimmerpflanze im Langen Loh derart malträtiert zu haben und hätte es pietätlos gefunden, das fleischige und unschuldige Blatt im Abfallkübel zu entsorgen. Deshalb warf ich es zu seinesgleichen – in den Topf einer meiner Zimmerpflanzen. Dem Dickblatt-Blatt hat es dort gefallen. Es schlug Wurzeln. Es wuchs. Es erhielt einen eigenen Topf. Es überlebte Trockenheit, Umzüge, Kälte, Hitze. Es ist das 26.-November-1989-Dickblatt geworden, das GSOA-Dickblatt. Ein unsterbliches Monster. Es wächst immer noch und das nervt. Es besetzt den sonnigsten Platz in der Wohnung. Ich kann es nicht wegwerfen. Nicht einmal verschenken könnte ich es. Ausser Andi Gross. Wenn er Freude hätte daran – dann würde ich es ihm vielleicht schenken.