Draussen unter einem Sonnenschirm des Cafés Galileo sassen Simone Langhaar, Anton Sieger, Donner und ein junger Mann in Anzug und Krawatte. «Mit wem reden die die ganze Zeit?» fragte Geschäftsführer Roland Kalt. «Das ist der Jungpolitiker, der bei den nächsten Wahlen in die Regierung gewählt werden will», sagte ich. «Ist das wirklich nötig?» fragte Kalt. Ich sagte ihm, dass wir mit einer ganzen Anzahl von Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport reden, um unser Projekt zu erklären. «It’s networking.»
Kalt fand das unnötig, denn unser Projekt sollte für sich selbst sprechen und eine neue Community ansprechen, die nicht schon in anderen Medien bedient würde. (……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………)
Donner, Sieger und Langhaar schienen sich köstlich zu unterhalten, wie wir durchs Fenster unserer Villa Allesgeht beobachten konnten. Rico Wind sagte, er werde sich auch noch schnell dazu setzen dort draussen, da wir ja unsere Besprechung zu einem guten Schluss gebracht hätten. Nur schon, um Donner, Sieger und Langhaar zu zeigen, dass sie ihre Gespräche nicht immer dann ansetzen sollten, wenn wir unsere Sitzungen anberaumt hätten. Es sei vielleicht richtig, jetzt ein Zeichen zu setzen. Kalt und ich liessen ihn gehen, verschoben die noch offenen Punkte unseres noch nicht ganz abgeschlossenen Gesprächs mit der Anzeigenleiterin auf später und plauderten weiter.
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Wir hatten sehr grosses Verständnis für die Probleme der Anzeigenleiterin und auch dafür, dass sie manchmal sehr enttäuscht auf die Absagen von Kunden reagierte. Eigentlich, so pflichteten wir ihr bei, müssten die Leute doch geradezu gierig darauf sein, in einem neuen, innovativen Produkt ihre Werbung unterzubringen. Wir empfahlen ihr, Geduld zu haben, und gaben ihr auch den Tipp, erst dann «Arschloch» zu rufen, wenn der Telefonhörer definitiv und mit Sicherheit aufgelegt sei. Das sei der Bereitschaft von Kunden, zu einem späteren Zeitpunkt doch noch bei uns zu werben, gewiss förderlich.
Draussen vor dem Café Galileo schien endlich etwas Ernsthaftigkeit eingekehrt zu sein, seit sich Rico Wind hingesetzt hatte. Langhaar, Sieger und Donner blickten in ihre Kaffeetassen und der Jungpolitiker, der Regierungsrat werden wollte, hörte Rico Wind aufmerksam zu. Da ich schon des öftern Netzwerk-Gespräche im Beisein von Rico Wind geführt hatte, erkannte ich an seiner Gestik, dass er nun beim Punkt angelangt war, wo er erklärte, dass unser Medienprojekt ganz anders reagierte hätte, als vor Wochen ein junger Bursche vom Geländer der Stadtbrücke gestürzt war. Eine spontane Kundgebung von Jugendlichen hatte damals stattgefunden. Sie endete in einer Party auf der Brücke – eine Brückenbesetzung sozusagen, der die Polizei ratlos zuschaute. Ein junger und alkoholisierter Mann, der sich im Übermut aufs Brückengeländer gesetzt hatte, stürzte in seiner Trunkenheit nach hinten, 50 Meter in die Tiefe und ertrank im Fluss.
Die Medien in der Stadt waren vom Ereignis überrascht, berichteten spät und lückenhaft. Und hier, so sagte Rico Wind jeweils in den Netzwerkgesprächen – aber auch in internen Besprechungen – liege das Potenzial unseres kommenden Mediums. Da wir den Umgang mit den sozialen Medien beherrschten, wüssten wir sehr früh von einer solchen Aktion, wären vielleicht schon vor den Akteuren vor Ort, würden online ständig über den aktuellen Stand berichten und hätten dann – wenn andere Medien erst so weit wären, das Geschehen zu rapportieren – bereits die Hintergründe aufgearbeitet und könnten dann in der gedruckten Zeitung profunde Analysen liefern. Von Gespräch zu Gespräch verfeinerte er seine Ausführungen (……………………………………………………………………………………………………………)
Geschäftsleiter Kalt nutzte unserer Beisammensein in kleinerer Runde, um der Anzeigenleiterin und mir seine Vision unserer künftigen Anzeigepraxis zu erläutern. Eigentlich, so sagte er, sei es doch absurd, dass wir von einem Grossverteiler, der bei uns ein Inserat zum Beispiel für Würste schalte, Geld entgegennähmen. Denn: Der Grossverteiler müsse das Geld, das er für sein Inserat ausgebe, in letzter Konsequenz wieder hereinholen. Das tue er, in dem er die Würste zu teuer verkaufe. Nämlich um jenen Bruchteil, den er als Vermarktungsabgabe draufschlagen müsse. Sinnvoller sei doch, wenn er den Konsumenten die Würste etwas günstiger verkaufe und auf das Inserat verzichte. Die Konsumenten könnten dann den Betrag, den sie bei den Würsten einsparen, direkt an uns zahlen.
«Hast du sie nicht mehr alle?» sagte die Anzeigeleiterin. «Wieso hast du mich denn angestellt?» «Jedenfalls nicht, um Wurstinserate in die Zeitung zu setzen», sagte Kalt in einem Ton, der seinem Namen alle Ehre tat. Und fügte hinzu: «Damit das klar ist: Inserate für Würste und Fleisch und überhaupt so hundskommune Lebensmittel kommen nicht in unsere Zeitung.» Ich versuchte, den aufkommenden Streit im frühen Stadium zu ersticken und wandte ein, dass wir (…………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………)
Kalt war verärgert, das spürte ich. Wie waren etwas laut geworden und Jakob Bergundthal, unser Bildchef, der an einem etwas entfernten Tisch des Raumes am Konzept für den visuellen Auftritt arbeitete, hatte unseren Disput mitbekommen. «Sorry», rief er, «was ihr da quatscht, geht mich zwar direkt nichts an. Aber irgendwie geht’s mich halt doch etwas an.» Er strich mit einer schroffen Bewegung sein Haar aus der Stirn, stand abrupt auf, griff mit seinen Händen links und rechts des Hosenbund an den Gürtel, zog die Hosen ruckartig hoch, stopfte sich dort, wo das Hemd herauslampte, den Stoff unter den Gürtel und kam schweren Schrittes auf uns zu. «Das ist ja ein Riesen-Bullshit, was du da rauslässt, Herr Geschäftsleiter.» Bergundthal hatte die Angewohnheit, die Leute mit deren Funktionsbezeichnung anzureden.
Er baute sich vor Kalt auf. Er sei hierhergekommen, weil er gewillt sei, sich voll und ganz dafür einzusetzen, dass das Projekt zu einem vollen Erfolg werde. «Wir müssen gute Geschichten machen, man muss reden über uns, wir wollen die Konkurrenz ausschalten, wir müssen Geld verdienen.» Er habe seinen bisherigen Job nicht aufgegeben, um hier das Geld der Mäzenin zu verprassen und dann, wenn’s aufgebraucht sei, stempeln zu gehen. Er habe eine Familie, habe Kinder, verdammt nochmal. Den psychedelischen Anzeigescheiss, den der Herr Geschäftsleiter, da rausgelassen habe, könne er dort rauslassen, wo er hingehöre und sich den Arsch mit Sektiererblättern abwischen.
Kalt nahm den Ausbruch gelassen entgegen und erwiderte kühl, es sei durchaus denkbar sei, dass sich Bergundthal am falschen Ort befinde. (………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………)
Bergundthal hatte wenig Lust auf Versöhnung, packte mit kräftigem Griff den Gürtel beidseits der Hüfte, riss seine Hose nochmals hoch und wandte sich nun an mich. «Hör mir jetzt mal zu, Chef, ich muss dir auch was sagen. Siehst du die fünf dort draussen: Langhaar, Sieger, Donner, den Schnösel mit der Krawatte und jetzt auch noch Wind! Was schwatzen die dort ständig rum?» Ich sagte ihm, dass er sehr wohl wisse, dass sie mit diesem Jungpolitiker zusammensässen, um ihm unser Konzept, unsere Ideen und Ziele zu erklären. «Networking, lieber Jakob, Networking mit den Meinungsträgern dieser Stadt.»
Das habe nichts mit Networking zu tun, brüllte mich Bergundthal an. Für das, was die dort trieben, gebe es nur ein Wort: Schleimen. Oder was auch immer. Jeden Tag sässen sie mit jemandem zusammen und quatschten drauflos, ein einziges verdammtes Anbiedern. Sie würden einander den Honig ums Maul streichen, Komplimente machen statt sich auf Recherchen vorzubereiten, statt die Zeit bis zum Start für die Vorbereitung guter Geschichten zu nutzen. Ständig würden sie von unabhängigem Journalismus schwafeln und jetzt machten sie auf frère-et-cochon. «Die sind ja alle per Du. Jeden Politiker duzen sie – das sind genau die richtigen Voraussetzungen für unabängigen Journalimus.»
Ich widersprach. Sagte, ich sei mehrmals Zeuge gewesen, wie etwa Anton Sieger das Du ausgeschlagen habe. «Und die Langhaar! Weißt du was: Die duzt das Pack nicht nur, sie küsst sie auch zur Begrüssung. Und zum Abschied auch noch, wie du jetzt gerade siehst.» Die Abschiedsszene vor dem Café Galileo war ein Triumph für Bergundthal. Er trollte sich hinter seinen Bildschirm und arbeitete weiter.
Ich setzte mich zu Kalt, sprach ihn nochmals auf seine für mich etwas unverständlichen Anzeigetheorien an. Er versprach, sie mir zu einem späteren Zeitpunkt gern etwas näher zu erklären, doch den Kern der Sache habe er ausgeführt. (…………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………)
«Du sprichst von Spenden?» sagte ich. Ja, sagte er, wir müssten bei unserer Community die Haltung verinnerlichen, dass wir von ihr getragen werden sollten. (……………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………………) Man könne nicht erst dann auf Spendensuche gehen, wenn man nichts mehr habe, erklärte Kalt. Sondern dann, wenn man in Stolz und Würde dahergehe. «Einem zerlumpten Bettler geben die Leute nichts – falls doch, dann ein paar Münzen. Jemand dagegen, der Zuversicht ausstrahlt, kann mit erklecklichen Summen rechnen. Denk an Crowdfunding …» Er unterbrach sich selbst und erzählte mir in heiterem Ton, der die heftigen Wortwechsel in jenem Raum nur wenige Momente zuvor vergessen liess, wie ihm die Kirchgemeinde ein Kinderbett finanziert habe. Vor der Geburt des ersten Kindes, habe er, der mit der Landeskirche nun wirklich gar nichts am Hut habe, einen herzzerreissenden Brief an die Kirchenpflege geschrieben, in dem er seine finanziell etwas enge Situation geschildert habe. Zu seinem eigenen Erstaunen seien ihm tausend Franken gewährt worden.
Ich staunte. «Da kannst ein Luxusbett kaufen», sagte ich. Das schon, sagte Kalt, aber er und seine Frau hätten im Brockenhaus eines für zweihundert gekauft. Das macht achthundert cash in die Tasche. Kalt lachte.