Es gibt viele traurig vernachlässigte, unansehnliche, trostlose Flecken in der Gegend. Eine Vergangenheit haben sie nicht, eine Zukunft wird man ihnen nicht geben. Und dann plötzlich geht die Post ab.
In der Pratteler IKEA waren wir alle schon mal, im Mediamarkt vielleicht auch und im Möbel Pfister nebenan, gleich neben der Autobahn, sieht man immer wieder Leute einkaufen. Etwas östlich davon hat jemand das Hotel Ibis hingestellt, wo Durchfahrende schnell nächtigen. Wie sie dieses Ibis finden, bleibt einem schleierhaft. Ohne Navy geht das nicht. Dann – auf einem Platz, hoch eingezäunt, gleich neben dem Hotel – spielen ein paar pensionierte Kantonalbänkler Tennis und schauen scharf darauf, dass kein Fremder ihr Revier betritt.
Wo kein Beton in die Höhe geschossen ist, kein Teer sich ausgebreitet hat oder keine unheimlichen Ungetüme in den Himmel schiessen, wachsen Büsche, Sträucher. Das ist vor allem auf der Böschung zur Autobahn hinunter so. Brombeeren wuchern da, Brennesseln, fliederartige Neophyten ebenfalls und vieles andere mehr, so dass man von einer grünen Wand oder Mauer oder Festung reden möchte.
Jenseits der Autobahn haben Krane vor kurzem einen ausgedehnten Tanz vollführt, am Ättigraben, wo jetzt der Coop sein riesiges Verteilzentrum betreibt. Überhaupt hat der Kanton dort Grosses vor, deshalb nennt er das Gebiet, wo der Ättigraben liegt, etwas geschwollen Salina Raurica. Unterhalb vom Ibis führt eine Brücke über die Autobahn, über die niemand fährt – wieso soll man auch? und wohin? – nur zwei Velofahrer kommen von irgendwoher. Sie fahren an der Informationstafel vorbei, auf der der Kanton vor fünfzehn Jahren oder vor noch längerer Zeit seine Salina Raurica-Pläne präsentiert hat. Was hier entstehen soll, hat jemnd geschrieben. Wohnen und Gewerbe und Grünflächen. Ein kleines Paradies kündet er an, das noch etwas Geduld erfordere. Vor 2009 sei noch wenig Konkretes zu erwarten.
Da hatte er für einmal Recht, der Kanton. Man kann heute wahrhaftig feststellen, dass 2009 noch nicht viel realisiert worden ist. Auch heute noch fast gar nichts. Ausser der Coop. Der Kanton hat übrigens für die Informationstafel einen Sponsor gesucht, damals, als er sie hingestellt hat. Die Telefonnummer für allfällige Sponsoren ist noch zu lesen. Aber wahrscheinlich hat sich keiner gemeldet – so wie die Tafel heute aussieht. Sie gilbt traurig vor sich hin.
Aber der Ort hat es dennoch in sich. Da, wo sich dieses Gewerbegebiet Grüssen mit IKEA und Pfister und Baby-Laden, Pearl-Factory, Jysk, Conforama, Occasionshändlern, Verpflegungsstätten («Legen Sie zwischen Ihren Einkäufen eine Pause und stärken Sie sich in unseren Gastro-Betrieben») ins Niemandsland verliert, haben die Leute vom Z7 wieder mal die Konzertbühne quer über die kaum befahrene Kraftwerkstrasse gestellt, den Parkplatz geräumt und von den Böschungen die Brombeeren, Brennesseln und Neophyten gemäht. Sieht irgendwie aus, als ob ein Penner beim Coiffeur gewesen sei.
Und da, wo es sonst sogar fürs Ungeziefer zu garstig ist und nicht einmal Mücken tanzen wollen, geht an schönen Juli-Abenden die Post ab. Die Konzertbühne steht dem Platz nicht schlecht, er hat einen trashigen Chic hingekriegt, heitere Leute finden sich ein, alte und junge, Hipsters und Rocker, hören, wie Ira May singend jazzt, einer kommt in Sandalen, ein anderer im Nadelstreifenanzug, der Duft von Joints in der Luft und Feldschlösschen in der Büchse.
Die Mutter von Nicole Bernegger wartet aufgeregt, bis ihre Tochter die Menge zum Tanzen bringt, sie tut es bald, die Tochter, sie tritt auf und rockt die Bühne und den Parkplatz beim Z7 und das Bord, das frisch gemäht wurde für die Leute, die sich einen guten Blick auf die Bühne sichern. Nicole Bernegger gibt die Show, die Leute, die zu Hunderten aufgetaucht auf diesem Parkplatz tanzen und singen und klatschne und strahlen. Ein Unort erwacht und dann kommt auch noch Joss Stone, aber sie ist nun eher langweilig, was allerdings nicht stimmt, wahrscheinlich, denn Marc Krebs sieht das anders in seinem Bericht und er ist der Profi-Kritiker, ich muss ihm glauben, dass Joss Stone der Höhepunkt war, auch wenn mir lieber gewesen, sie hätte ihre Show vor Nicole Bernegger durchgezogen, ja: durchgezogen. Ich will Marc ja wirklich nicht widersprechen, das steht mir nicht zu, aber die Frau Bernegger, doch, doch, die war der Hammer.
Und der Unort, der traurige, trostlose, wo sonst das ganze Jahr über nichts los ist, den sogar die Ratten meiden wahrscheinlich, der Unort war so eine Art mittendrin. Der träumte, wie es wäre, wenn dann drüben, auf der anderen Seite der Autobahn, wo Salina Raurica ist, wenn dann dort einmal das Leben einzieht, und die Leute hier durchkommen und alles anders wird. Die Autobahn wird kein lärmender Streifen mehr sein, sondern die selbstfahrenden Vehikel fliessen vorbei, ohne Hast wie das Wasser im Fluss, und es beginnen andere Zeiten. Die Leute, die Orte zu Unorten und Unorte zu Inplaces machen, werden den Platz plötzlich hip und toll und begehrenswert finden und so.