«Am Ende weinten alle» – ER ist weg

Man ist ja auf Twitter und so. Und so konnte einem nicht verborgen bleiben, dass Matías Delgado mit Fussballspielen aufhört. Dann haben wir aber einfach weiter geplaudert. So fürs erste. Das war falsch.

Die Brockenstube Delgado ist vom Rücktrifft nicht betroffen.

Nein, nein, nein, ich weiss gar nicht mehr, worüber wir am Sonntagabend gesprochen haben, als einer sein Handy auf den Tisch legte und sagte, Matías Delgado höre mit dem Fussball auf. Jemand hat gesagt: «Dabei hat er doch eben noch in einem Interview gesagt, er werde weiterspielen.» Und jemand setzte hinzu: «Und im Trainingslager war er doch so vorbildlich motiviert.» Dann haben wir wieder über anderes gesprochen. Wir waren nicht im Stadion. Wir sind natürlich auch schon hingegangen. Schon oft. Da spielte dann Delgado immer wieder eine Stunde lang, bis er genug hatte und ein anderer weitermachen durfte. Auch andere spielten noch. Zehn mit ihm. Elf gegen ihn. Das schon.

Diese Szene, die heute in der BaZ beschrieben wird, haben wir auch verpasst: «Es war sein Tor. Er wollte es schiessen und – wer weiss? – vielleicht musste er es auch. Da war der Antritt, zehn Meter, fünfzehn, zwanzig. Er sah die Lücke in der gegnerischen Abwehr, dann übernahm der Instinkt. Dass er beim Schuss noch am Fuss getroffen wurde und anschliessend auf die Seite fiel, das hat er bei all der Freude vermutlich gar nicht gespürt. Und selbst wenn: Was bedeutet schon ein bisschen Schmerz im Vergleich zu all den Emotionen?» Das war im Cupfinal vor kurzem. Gegen Sion. Da waren wir nicht in Genf, sondern haben auch mit irgendwelchen Leuten, Freunden oder Kollegen, Belanglosigkeiten ausgetauscht wie am Sonntagabend, als ER den Rücktritt bekanntgab.

Als ER nach seiner Fussballer-Tour in die Türkei und später in die Wüste nach Basel zurückkam, hat irgend ein Journalist – ich glaube, sein Name hat drei Buchstaben, beginnt mit einem R und hört mit einem z auf – den Hype um IHN karikiert, und IHN nur noch in Grossbuchstaben geschrieben. Andere – unter ihnen auch Fans, auch solche auf den sozialen Medien – haben den Journalisten nachgeahmt, seine Ironie aber nicht verstanden und heute schreibt IHN auch der Chefredaktor der anderen Tageszeitung in Basel, der bzBasel, in Grossbuchstaben. «ER geht. Was bleibt? Riesenaufgabe für die Führunsgcrew» twittert er und gibt kraft seines Amtes den Durchhaltebefehl aus. Ohne Ironie. Das ER ist ernst gemeint. Die aufmerksame SP-Nationalrätin Schenker pflichtet ihm auf Twitter bei.

Jedenfalls: Die Post ging ab auf den sozialen Medien. Einer nennt IHN Idiot, weil ER hätte Stadtheiliger werden können, hätte ER weitergespielt. Andere widersprechen. Man darf IHN nicht Idioten nennen. «Da freue ich mich über Spiel und Resultat – und dann das … Sehr schade. Trotzdem: Gracias por todo, Mati.» Der Twitterer kann spanisch offenbar. Viele können plötzlich spanisch auf Twitter und Facebook. Für sie ist spanisch weniger schwierig als für IHN deutsch. Deshalb liebt ER Basel. «Dieser geniale Fussballer hätte seiner Mannschaft noch viel geben können. Der Rücktritt kommt viel zu früh.» «Ohne Worte …» «@FC_Basel fans sind soooo geil» – dies weil sie die Medienkonferenz unterbrachen (hoffentlich tun sie das nie mehr). Die Tweets und Posts überschlagen sich, es meldet sich auch die UEFA: «Matias Delgado beendet seine Karriere. Alles Gute für die Zukunft». Ein Leibchen für 29 Franken kommt auf den Markt mit dem Konterfei von IHM. Einer schreibt: «Noch ein langer Weg, um auf ein Level wie St. Pauli zu kommen.» Über diesen Sürmel müsste ein Stadionverbot verhängt werden. Es gibt sogar eine Lex Delgado: «La ley Delgado, un exito pleno.» «Bu kalp seni unutur mu?» tönts aus der Türkei.

Aber auch die professionellen Medien hängen ein. Einige sofort, andere mit ein paar Stunden Verspätung. Die bzBasel stellt nüchtern, aber ganz offensichtlich unter Schock stehend, fest: «Delgado ist während seiner FCB-Zeit zum Basler geworden – wir sagen: Adios Capitan.» Was will uns die Journalistin damit sagen. Dass es schwer ist, Basler zu werden? Oder vielleicht, dass es leicht ist? Oder: Dass andere es nie schaffen würden? Oder was eigentlich?

 Dann liegen die Zeitungen in den Briefkästen. Strelli umarmt den WEINENDEN. Eine halbe Seite gross. Die bzBasel noch grösser. Ehrlich. Eine Bildlegende teilt uns mit: «FCB-Captain Matías Delgado kann und will seine Tränen nicht zurückhalten, als er seinen Rücktritt erklärt.» Man muss sich das einmal vorstellen: ER kann nicht. Und ER will auch nicht. Das ist ja unglaublich. ER kann und will nicht. Dabei hat ER doch eben noch so gut trainiert und hat den FCB zum Sieg geschossen im Cupfinal und in der Meisterschaft und in der Championsleague. Und in der Europaleague. ER ist eben ein Künstler, titelt jemand. Ein KUENSTLER. Wie … ja, wie wer? Übrigens: das mit der Championsleague und der Europaleague stimmt nicht. Urs Fischer, dieser Zürcher, hat IHN immer aus dem Spiel genommen, kurz bevor ER uns zu Sieg geschossen hätte.

Irgendwo auf einer Website – wieder unter einem Bild – steht: «Matias Delgado trifft per sofort zurück.» Jaja, so steht es. Es kann kein Druckfehler sein, denn am Montagabend steht es immer noch da, (vielleicht liest auch niemand diese Website). Also: ER trifft zurück. Wir wissen nicht genau, was das heisst: «zurücktreffen». Aber es muss etwas Schlimmes sein.

Die ganze Stadt ist konfus nach SEINEM Rücktrifft. Es gibt wahrscheinlich keine andere Person, deren Rücktrifft uns derart underobsi bringen würde wie SEINER. Viele Menschen in dieser Stadt haben es schon gestern Abend gemerkt. Ich leider nicht, weil wir über so Unwichtiges geplaudert haben. Es hat mich erst heute eingeholt. Hauptsache, man checkt es dann doch noch. Lieber spät und eindrücklich als gar nicht. Hat sich auch die TagesWoche unter dem Titel «Der Zauberer hat jede Träne verdient» gesagt: «Es hatte etwas Herzzerreissendes. Wie Matías Emilio Delgado dasass, in schwarzem Hemd, ein helles Sakko darüber und mit dem Brillantschmuck am Ohr, der im Blitzlichtgewitter der Fotografen funkelte. Übermannt von Gefühlen wurde da ein 34-jähriger Mann, der gerade den Schlüsselsatz gesagt hatte. Einen, der ihm schwer fiel, der ihm jedoch auch eine Last zu nehmen schien: ‚Meine Karriere nimmt hier ein Ende.’ – Die Tränen standen ihm in den Augen, sein Blick suchte im Mediensaal die Augen seiner Frau Maria-Laura. Dann weinten sie beide. Eigentlich fast alle im Raum. Und mit ihnen noch ein paar Menschen mehr in Basel. – Der Gefeierte war endgültig überwältigt, suchte Halt an der Schulter von Marco Streller und rang nach Worten: ‚Ich weiss gar nicht, ob ich das verdient habe.’ – Doch, hat er.»

Okay. Jetzt Aber! Was gibt’s noch zu sagen?

Die Brockenstube Delgado – jaja, die gibt’s weiterhin. Und vielleicht noch das: Basel ist die tollste, die aller-, allertollste Stadt der Welt. Mit den besten Fussballspielern ever. Und mit IHM. Und überhaupt: die aller-, aller-, allerbeste Stadt.

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