Freie Republik Neuhus

Rund ums Baselbiet, Etappe 5 von Huggerwald nach Riederwald – 17. Juli 2019. An westlichsten Zipfel von Liesberg steht ein Fels, an diesem Fels hängt Roggenburg und um dieses Roggenburg muss man drumherum. Dort erreicht man eine Freie Republik, die vom weltweiten Internet ziemlich abgeschnitten ist.

Blich von der Ebeni oberhalb Liesberg ins Laufental
Ein bisschen gegraut hat’s mir vor dieser Etappe bereits, als ich vor sechs Tagen auf dem Bänklein oberhalb Huggerwald sass. Ich sah, wo es etwa durchgehen würde – bergauf und –ab und ganz nach hinten ins Laufental, wo man den Baselbietern mit der Abstimmung im November 1989 auf noch die Gemeinde Roggenburg als südwestlichsten Zipfel an den Kanton angehängt hat. In leicht gedämpfter Stimmung ziehe ich los bei prächtigstem Sommerwetter, bin aber ziemlich schnell begeistert. Ein leicht ansteigender Feldweg über Juraweiden mit Rindern drauf und Blumen in allen denkbaren Farben. Dazu schwirren Schmetterlinge rum und da ich beschlossen habe, von nun an nicht mehr sklavisch dem Grenzverlauf zu folgen, sondern auf einigermassen begehbaren Wegen in der Nähe der Grenze zu wandern, besteige ich den Räschberg rechterhand nicht.

Jubiläumsbänklein 1910
Eine schöne Jurawanderung, wirklich! Ein Mann mit Hund kommt entgegen, dann öffnet sich ein wunderbarer Ausblick hinunter auf Kleinlützel, ein Jubiläumsbänklein der Baselbieter Kantonalbank, das dem Jahr 1910 gewidmet ist und an das Zementwerk unten im Tal erinnert, die bis 1982 in Betrieb war. Zudem erfahre ich, dass Liesberg die flächenmässig grösste Gemeinde im Laufental ist und dass hier oben vor 160 Millionen Jahren Saurier gebadet haben. Das berührt mich aber nicht sehr, da es doch schon recht lange her ist. Eine Kapelle taucht auf, wo ich pflichtschuldigst zwei Kerzlein anzünde,
Hundegängerin
eine Frau mit sogar zwei Hunden wandert vorbei und es steht – wahrscheinlich weil Liesberg so viel Fläche hat – wieder ein Kantonalbank-Bänklein in der Landschaft, das diesmal dem Jahr 1985 gewidmet ist und versichert, dass die grosse Kiesgrube nun als regionale Kehrichtdeponie verwendet und unter wissenschaftlicher Auf
Jubiläumsbänklein 1985
sicht wieder aufgefüllt werde. Ist doch gut zu wissen. Rechterhand eine riesige, eingezäunte Obstplantage, die mit Netzen abgedeckt ist, damit Schädlinge und im speziellen die Suzuki-Fliege nicht eindringen. Aus dem mächtigen Zelt höre ich Männerstimmen und Kinderlachen.

Dann nähert sich der seltsame Punkt, wo Liesberg und damit das Baselbiet eigentlich zu Ende wären, weil von der einen Seite der Kanton Solothurn und von links der Kanton Jura seine Grenzen heraufzieht. Ein Drei-Kantone-Eck also – aber eine seltsames Eck. Denn da, wo sich ein markanter Fels zwischen Schatteberg und Hasenschell erhebt, den ich selbstverständlich erklettere, genau da ist noch die Baselbieter Gemeinde Roeggenburg angehängt, so als ob jemand mit einer Stecknadel noch ein Säcklein an die Grenze geheftet hätte, das nun so in den Südwesten hinein flattert. Wenn ich die ganze Gemeinde Roggenburg umwandert haben werde, werde ich wieder hier stehen. Das sind Aussichten!

An diesem Fels hängt Roggenburg am Kanton Baselland
Ich steige am Martiswald vorbei hinab zur Lützel – oder Lucelle, wie sie nun heisst und wandere nun eine Weile auf französischem Boden, respektive auf der französischen Landstrasse. Ein recht schattiges Tal. Autos rasen vorbei, Töffs auch, aus Frankreich, aus dem Jura, dem Thurgau, dem Wallis. Und viele Radfahrer in farbigsten Trikots. Die Lucelle plätschert mir munter entgegen.

Briefkasten am Eingang zur Republik Neuhus
Beim Neuhus erblicke ich bei einem Brücklein, das über die Lucelle fliesst, einen Briefkasten und auf diesem Briefkasten steht, dass hier eine freie Republik ausgerufen worden ist, und zwar im November 2016. In dieser Republik, so steht geschrieben, gelten all jene Gesetze nicht, die gegen Menschenrechte verstossen. Das ist sehr sympathisch, weshalb ich die Republik betrete, mich hinsetze und im Schatten einer Werkstatt meinen Durst lösche. Ich sehe einen grossen Gemüsegarten am Hang, in dem eine Frau arbeitet. Das zugehörige Bauernhaus wirkt sehr schlicht. Davor steht eine kleine Sägerei mit zurechtgeschnittenen Brettern. Dann nähert sich ein Bewohner der freien Republik. Er ist, wie er mir dann erzählt, dreissig Jahre alt und mit ihm leben vier weitere Personen zwischen fünfundzwanzig und fünfundfünfzig Jahren hier, dazu ein sechsjähriges Kind, das aber grad irgendwo in den Ferien ist. Sie gärtnern, haben Tiere und verkaufen Gemüsepakete, vor allem in Basel, so im Umfeld des Restaurant Hirscheneck. Aber auch die Neumühle, ein Restaurant, das auch auf meinem Weg liegt, beliefern sie. Heute zum Beispiel haben sie Fenchel bestellt. Internet gibt es keines, sagt der Mann, und ich sehe auf meinem Handy tatsächlich: Kein Netz. Über eine alte Telefonleitung haben sie schon ein bisschen Zugang zum Netz, sagt der Mann, aber etwa so wie in den Neunziger Jahren. Die Swisscom habe kein Interesse, hier bessere Leitungen zu installieren – so nahe an der Grenze. Und die Franzosen auch nicht, weil diese Republik für sie Ausland ist. Die freie Republik Neuhus steht sozusagen im Niemandsland und ihre offizielle Website, die unter «Genossenschaft Econnex» läuft, ist wohl auch deshalb nicht so wahnsinnig interaktiv, weil das Internet an diesem Ort eben nicht vielmehr zulässt.

Ich verlasse die freie Republik und marschiere der Strasse entlang, am mässigen Verkehr vorbei, in den südwestlichsten Baselbieter Zipfel – eben zum Restaurant Neumühle, das Fenchel bestellt hat. Das ist aber geschlossen und während ich mich im Gartenrestaurant installiere, um meinen mitgeschleppten Käse und die Wurst zu essen, frage ich mich, wozu die heute wohl Fenchel brauchen.

Ederswiler
Leicht steigt der Weg an nach Ederswiler, das in mittäglicher Hitze liegt und wo ein einsamer Mann in einer Strassenrabatte gräbt und auf französisch mit einer miauenden Katze spricht, was daran liegt, dass Ederswiler im französischsprachigen Kanton Jura liegt. Es geht nun aufwärts, aufwärts, aufwärts mit wunderschönen Ausblicken auf Jurahöhen zwar, auf Roggenburg hinunter, aber aufwärts, ständig und stetig und auch steil aufwärts auf die Welschmatt. Auf der hinteren Welschmatt heuen Bauern auf der vorderen wird irgend etwas betoniert und dann durchquere ich drei Rinder-Weiden, erreiche den Fels, wo drei Kantone aufeinander treffen und Roggenburg noch dran geheftet ist und wo ich vier Stunden zuvor schon war.
Der Weg führt nun steil abwärts durch den Wald hinunter zu La Réselle, einem sehr abgelegenen und verwunschenen Hof mit einem Hund an der Kette und einem Bauern, der sagt, das Wasser im Brunnen sei sehr frisch und eau potable. Herrlich ist es dieses Wasser und ein paar Minuten später noch herrlicher und verträumter der Etang de la Réselle. Überall sehe ich versteckt im Schilf oder auf Bänklein Menschen sitzen, die Bücher lesen oder miteinander reden. Stimmen und Worte schweben über dem Wasser.

Der Talboden ist nah. Vor Soyhières biege ich links ab zum Schiessstand, gehe dort zur Birs hinunter, überquere sie und wandere Riederwald zu. Ich werfe einen Blick auf die nächste Etappe – wieder eine zum Fürchten.

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