Neun Köhler bauen noch Meiler in der Schweiz. Für sie ist das alte Handwerk mehr als Hobby. Bauer Willy Renggli vom Bramboden sichert sich mit der Köhlerei seine landwirtschaftliche Existenz.
Köhler Renggli mit dem Modell eines Meilers, im Hintergrund der richtige Meiler
Tonnenweise schütten wir nun wieder Holzkohle auf den Grill. Im Garten, am Fluss- und Seeufer, auf dem Balkon. In den Einkaufszentren und bei Tankstellen stapeln sich diese sperrigen Säcke. Aus Polen kommen sie, aus der Ukraine, vor allem aus Rumänien, wo Holzkohle zum Teil unter sehr fragwürdigen Arbeitsbedingungen produziert wird.
Doch es gibt auch heimisches Schaffen. Nicht in rauhen Mengen zwar, aber solide, zertifizierte Holzkohle aus dem Entlebucher Napfgebiet, wo die letzten Schweizer Köhler arbeiten. Neun sind es, und einer davon ist Willy Renggli. Köhler, so glauben wir von Geschichten aus alter Zeit zu wissen, leben einsam, russverschmiert. Nicht so Willy Renggli. Der 57-Jährige widerspricht jedem dieser Clichées – wobei: das mit der Abgeschiedenheit könnte noch am ehesten hinkommen.
Wer Köhler Renggli im Weiler Bramboden besuchen will, biegt in Hasle bei Entlebuch von der Hauptrasse ab und fährt gute neun Kilometer auf einer immer schmaler werdenden Strasse über Hügel und durch Tobel, bis – ja, bis die Strasse vor einer Kirche und einem Seminarhotel endet. Ein paar hundert Meter weiter unten erwartet Renggli den Gast.
Kohle für Stahl
Er macht nicht gross Federlesens, bittet, in den Subaru einzusteigen und kommt auf der kurzen Fahrt zum «Kohlplatz» geradewegs zur Sache. Das Köhlerhandwerk wäre in der Schweiz ohne den früheren Romooser Lehrer und Gemeinderat Joseph Duss wahrscheinlich ausgestorben. Dieser hatte 1941 den Köhlerverband gegründet und dafür gesorgt, dass den Romooser Bauern, zu denen auch die von Bramboden gehören, die Möglichkeit eines Nebenerwerbs erhalten bliebe. Duss, der später in den Nationalrat gewählt wurde, bemühte sich auch darum, Abnehmer für die Kohle zu finden – etwa die von Moos Stahl AG in Emmenbrücke.
Wir sind beim Kohlplatz angelangt, just im Moment, als Renggli vom folgenschweren Brief aus dem Jahr 1986 erzählt, in dem das Stahlwerk von Moos den Köhlern mitteilte, es würde keine Holzkohle mehr abnehmen. Wie das Köhler-Gewerbe im Entlebuch trotzdem überlebte, wird er später erzählen. Jetzt stehen wir erst mal vor den zwei Meilern, weit hinten grüsst der Napf, unten rauscht der Seeblibach. Der eine Meiler ist frisch aufgeschichtet, etwa vier Meter hoch, die 60 Ster aufgestapeltes Holz sind rundum mit Holzbengeln abgedeckt. Der andere ist um etwa ein Viertel zusammengesunken, mit einer weissen Plane überzogen – acht Wochen hat er Zeit, bis er völlig ausgekühlt ist und die Kohle in Säcke abgepackt wird.
Seit der Jungsteinzeit, seit über 6000 Jahren also, bestehe das Köhlerhandwerk, sagt Renggli, und es sei von Generation zu Generation weitergegeben und wohl auch verfeinert worden. Im Zentrum eines Meilers steht das «Füllihus», eine Art Finnenkerze mit Hohlraum. Darum herum legt der Köhler den Bodenrost, und auf diesen Rost stellt er rund ums Füllihus die meterlangen Spälten und Rugel, Kreis um Kreis, bis der Bodenrost gefüllt ist und die erste Etage des Meilers steht. «Wir verwenden nur Holz aus unseren Wäldern und zwar alle Holzarten: Buche, Tanne, Eschen und was sonst so anfällt. Hauptsache, das Holz ist gesund», sagt Renggli. Wichtig auch, dass keine Zwischenräume zwischen den Spälten entstehen. Da könnte sich Feuer entfachen. Das gäbe Asche statt Kohle. Es darf nur glimmen.
Vierzehn Nächte bis zum blauen Rauch
Gute 300 Arbeitsstunden braucht es, bis der Meiler in seiner ganzen Pracht steht, mit Holzbengeln und Tannenreisig abgedeckt und mit dem «Löschimantel» umgeben ist. Der Löschimantel ist eine Pappe aus Kohleabfall und Wasser, der den Meiler abdichtet und bereit macht fürs Abbrennen. Diese Arbeit braucht die volle Konzentration des Meisters: Er legt den Schacht in der Mitte des Meilers frei bis hinunter zum Füllihus, füllt ihn mit Glut, deckt ihn wieder ab und bohrt Löcher in die oberste Schicht des Mantels. Grau und weiss beginnt der Rauch herauszuquellen, alle drei Stunden muss die Glut nachgefüllt werden. «Vierzehn Tage lang schlafe ich dann hier unten im Holzhaus», sagt Renggli. Wenn der Rauch blau wird, ist der oberste Teil verkohlt, die Löcher werden gestopft und darunter neue gebohrt. «Der Verkohlungsprozess läuft von oben nach unten und von innen nach aussen.» Zwei Wochen lang dauert die Brennphase, gegen Schluss genügt es, alle sechs Stunden Glut nachzufüllen.
Den mit einer Plane abgedeckten und abgebrannten Meiler hat Renggli ¬ – er schaut auf dem Kalender seines Smartphones nach – anfangs März angezündet, den zweiten wird er dann anfachen, wenn er neben der Landwirtschaft und dem Umbau seines Stalls Zeit hat. «Die Köhlerei ist Lückenbüsserei», sagt er, «aber ein wichtiger Nebenerwerb. Sie macht gegen ein Drittel meines Einkommens aus.»
Er kommt zurück auf den Brief von 1986, als die von Moos AG die heimische Holzkohle aufkündete. Das hätte das Ende der Entlebucher Köhlerei bedeuten können. Es war dann Paul Duss, der Sohn des Köhlerverband-Gründers Joseph Duss, der den Kontakt zu Unternehmer Otto Ineichen herstellte: Dieser sicherte den Köhlern zu, ihre Holzkohle abzunehmen und sie in den Filialen seiner «Otto’s Warenposten» – heute «OTTO’S» – den Grillfreunden anzubieten.
Beruhigende Perspektiven
«Obwohl unsere Holzkohle etwa doppelt so viel kostet wie die Importware, ist die Nachfrage gross», sagt Renggli. Statt 80 bis 100 Tonnen jährlich könnten die Köhler von Romoos etwa das Fünffache produzieren. Der schwarze Segen aus den Wäldern im Entlebuch schafft beruhigende Perspektiven, denn ein gesicherter Nebenerwerb erleichtert es, die Zukunft des Landwirtschaftsbetriebs zu planen. Je 13 Hektaren Wieseland und Alpweiden gehören zu Rengglis Hof und jetzt, da sein Sohn, gelernter Multimediatechniker, sich entschieden hat, die bäuerliche Laufbahn mitsamt Köhlerei einzuschlagen, kann der Umbau des Stalls getrost angegangen werden.
Es ist bei Rengglis nicht nur die Köhlerei allein, die einen Nebenverdienst beisteuert. Während Vater Willy zwischen den Meilern stehend das Handwerk erklärt, fährt seine Frau Bernadette vor und bringt Geschirr und Gläser ins Holzhaus, wo der Köhler während der ersten Tage des Abbrennens schläft. Die Baracke ist nämlich auch eine Beiz, in der an Wochenenden Gruppen bewirtet werden, die heranreisen, um das Köhlerhandwerk kennenzulernen. «Letzte Woche war eine Fasnachtsclique aus Basel da», erzählt Renggli, «und am nächsten Wochenende haben wir wieder Besuch.»
Jetzt wird auch klar, warum kleine Demonstrationsmodelle von Meilern und verschiedenste Köhler-Utensilien als Anschauungsmaterial herumstehen. Hier erklärt Renggli den Interessierten das Handwerk und die Geschichte der Köhlerei. Doch: «Man kann ja nicht einen ganzen Tag lang einen Holzhaufen anstarren.» Darum bieten Rengglis mehr: Neben Verpflegung auch Ausflüge hinunter zum Seeblibach etwa, wo die Besucher Gold waschen lernen und dann und wann ein Flitterli aus dem Sand sieben. Oder die Holzolympiade – ein Parcours, auf dem Besucher allerhand erfahren über Holz, Holzarten, Bäume und was man damit machen kann. Und wer Glück hat, dem wird auch mal eins gejodelt – die Rengglis mit ihren vier Kindern singen seit über zehn Jahren als Jodlerfamilie. www.familie-renggli.ch