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Eine volle Ladung Udo

Spur durch Deutschland, Seddiner See – Potsdam, 7. August 2020. Am Bahnhof von Neuseddin sitzt Fausi, der mich die nächsten und voraussichtlich letzten beiden Tage begleiten wird. Er kennt die Gegend, hat einen Plan im Kopf, doch mit Udo hat er nicht gerechnet.

Udo spricht ohne Punkt und Komma

Die Nacht im Fuchsbau war weniger erholsam als erhofft, die Wände dünn, die Schnarcher laut, im Wald drüben rumort’s die ganze Nacht, und viele Gäste hier freuen sich am satten Klang zufallender Türen. Zudem ist es heiss. Ich koche mir im Zimmer einen Kaffee, kaum wird es hell, und starre an die Decke, bis es halb neun wird. Um neun trifft Fausi ein, wir haben uns am Bahnhof verabredet, und da er Berlin und Umgebung gut kennt, freue ich mich darauf, nun einfach mit ihm zu laufen und nicht mehr ständig nach dem richtigen Weg suchen zu müssen.

Treffpunkt Bahnhof: Fausi Marti ist aus Berlin angereist

Kurzweilig ist es zudem auch, zu zweit zu wandern, mit der Gefahr allerdings, dass man die eine oder andere Abzweigung verpasst und kleine Um- und Zusatzwege in Kauf nehmen muss. Von Neuseddin weg über ein Autobahnkreuz zum Schwielowsee schaffen wir es locker, wir reden über die Wahlen, die in Basel bald anstehen, über Dinge, die die Leute hier beschäftigen, über die feinen Wege durch den lockeren Wald. Ich staune, wie die Seeufer, die Häuser und Strassen innerhalb weniger Kilometer touristischer geworden sind. Pensionen stehen an der Strasse, freie Zimmer werden angeboten, Bäckereien haben auf dem Gehsteig Cafés eingerichtet und verwegene Rentnerinnen und Rentner kurven in farbigen Kleidern und auf E-Bikes um enge Kurven. Wir wandern durch Caputh am gleichnamigen See, und ab sofort folgt nun auf dem Weg nach Berlin ein See auf den nächsten.

Das Sommerhaus von Albert Einstein

Albert Einstein hatte Geschmack, stellen wir fest, als wir auf sandigem Pfad den Templinersee erreichen. Sein Sommerhaus steht hier in üppigem Garten, mit Blick aufs Wasser. Fünf Euro kostet es, das rot bemalte Holzhaus mit weissen Fenstern, Läden und Treppengeländern  von innen anzusehen. Wir tun es nicht, allein schon aus dem Grund, weil es heute geschlossen ist.

Auf dem Templinersee herrscht viel Betrieb, Ausflugsschiffe, Sportboote, Kanus und Kajaks sind in grosser Zahl unterwegs. Auf Bahndamm und Brücke setzen wir auf die andere Seite über und folgen dem Schild «Seekrug» in der Hoffnung, dass der Krug eine Gastwirtschaft sei, aber dem ist nicht so. Der Seekrug ist die Clubhütte eines Ruderclubs, mit einer schattigen Bank immerhin.

Viel Betrieb auf dem Tempilnersee

Da trinken wir unser Wasser, erwarten keine besonderen Ereignisse und haben nicht mit Udo gerechnet. Udo ist ein Lautsprecher in Badehose und auf einem Fahrrad. Er sitzt nicht auf dem Sattel, sondern stösst das Rad neben sich her, hört – wie wir auch – einen Zug über die nahe Brücke fahren und denkt laut nach. Die DB, die Deutsche Bahn, hat man in den letzten Jahren zu Tode gespart und jetzt muss sie mit alten Zügen über alte Brücken fahren und macht einen Saulärm. Die DB hat einen neuen Chef, den … , den … , ja, wie heisst er denn schon wieder, ein ganz kurzer Name nur, ach ja, den Lutz, und der soll alles wieder herrichten, aber das geht wohl nicht mehr, weil die DB nun halt schon mal zu Tode gespart ist.

Was uns Udo damit sagen wollte, ist nicht ganz klar, aber immerhin hat er festgestellt, dass wir ihm zugehört haben, und er hat jetzt ganz gut Lust, uns aufs weitere zu unterhalten. Er ist mit Angela Merkel in die Schule gegangen, lässt das nun einfach mal so im Raum stehen und die Angela auch. Ein paar Sätze lang konzentriert er sich auf den Sauer, Angelas Gatte. Der wohnt jetzt alleene da oben am Wald und ist nicht ganz dicht im Kopf.

Udo serviert eine DDR-Geschichte nach der anderen. Erzählt zum Beispiel von den 200’000 Schweinen, die da oben am See gezüchtet wurden, was viele Arbeitsplätze geschaffen hat, die jetzt natürlich alle weg sind, weil das ja nicht mehr geht, 200’000 Schweine – und gestunken hat das, wenn sie die Gülle weggekarrt haben! Die Schweine haben sie auf Lastwagen nach Westberlin gefahren und dort geschlachtet. In der DDR gab’s dann zu wenig Fleisch, man musste anstehen in den Knellen und Sälen, und wenn du drinnen warst, war das Fleisch schon weg. Aber Bier gab’s noch und lustiger war’s auch und nun singt Udo einen Moment lang das Lied vom tollen Zusammenhalt, von den Gesprächen miteinander, von den guten, alten Zeiten. Aber besser war es nicht, nein. Er möchte das alles nicht zurück. Äpfel und Möhren, das gab’s immer, der Grundbedarf war gedeckt, aber funktioniert hat eigentlich nicht viel, alles kaputt, die Strassen völler Löcher und dort drüben standen 150 neue MAN-Laster, denen fehlte was, keen Kilometer gefahren und alle rosteten vor sich hin. Lass die Oma mal planen, det geht dann ohnehin nich. Manfred Krug, der Schauspieler, durfte dann ausreisen in den Westen, und er wollte seine Sammlung an Kutschen mitnehmen, was die Behörden ihm verboten, und da sagte Krug, er habe ein Notizbuch mit Namen von Stasi-Spitzeln. Er könnte das mal irgendwo liegenlassen. Dann durfte er die Kutschen mitnehmen.

Das Neue Palais im Park Sans Souci

So geht das weiter und schreitet voran, wir sitzen da und lachen, weil Udo wirklich ein guter Unterhalter ist und auch ein paar Müsterchen von Udo Lindenberg auf Lager hat. Aber wir wollen nun eigentlich in den Wildpark, den die Hohenzollern Mitte des 19. Jahrhunderts haben anlegen lassen, den damals modernsten Vorstellungen einer repräsentativen Wald- und Jagdlandschaft entsprechend. Später wandern wir dann tatsächlich durch diesen Wald, bis ins Zentrum, dem Wegestern, bei dem acht Strässchen aufeinander treffen und da wir nun schon mal auf historischen Pfaden wandeln, besuchen wir das gediegen klimatisierte, mächtig grosse und  für heutige Begriffe kitschig ausstaffierte Neue Palais, das Friedrich der Grosse im 18. Jahrhundert hat bauen lassen und in dem Kaiser Wilhelm II. von 1888 bis 1918 wohnte. Die ganze Parkanalage bis weit nach vorn ins Potsdamer Holländerviertel ist genial und grossartig und die Hitze bei der Ankunft in der brandenburgischen Landeshauptstadt drückend.

Krass dieser Unterschied in den letzten Tagen: Eben noch bin ich durch die stillen, einsamen und teilweise auch heruntergekommenen Dörfer Sachsens, Sachsen-Anhalts und Brandenburgs gewandert und nun stehen wir in diesen urbanen Vierteln in der Innenstadt Potsdams, die Leute sind shoppend, schwatzend unterwegs. Wir stehen mitten unter ihnen, in verschwitzten Hemden, unpassenden Schuhen und einem unförmigen Rucksack. Es ist Zeit, dass die Reise langsam an ihr Ende kommt.

«Wir sind angekommen»

Spur durch Deutschland, Potsdam – Berlin, 8. August 2020. Irgendwie kommt mir die Brücke bekannt vor. Dort tauschen in alten Filmen die BRD und die DDR Spione aus. Genau um elf betreten sie Fausi und ich, diese Glienecker Brücke, gelangen auf das Gebiet der Stadt Berlin und beschliessen ein paar Stunden später nach einer längeren Wanderung durch den Grunewald, dass wir nun am Ziel angekommen sind. Nach 58 Tagen bin ich also da.

Glieneckerbrücke, die Ost und West bis 1989 teilte

Doch, doch, es ist ein emotionaler Moment. Potsdam liegt hinter uns, die Glienecker Brücke vor uns und wenn wir sie überschritten haben, dann begrüsst uns ein gelbes Ortsschild, wie ich sie nun wohl zu Hunderten gesehen habe in den letzten Wochen, gelb und am rechten Strassenrand stehend – aber diesmal steht «Berlin» drauf. Wir haben die Grenze zwischen Brandenburg und Berlin überschritten, die Grenze, die einst zwei Machtblöcke trennte, zwei Welten, die damals in drei Jahrzehnten grundverschieden geworden sind, getrennt durch eine schier unüberwindbare Mauer, und die sich einander nun wieder annähern. Autos fahren hin und her, Radfahrer machen halt auf diesem Brückenkopf, knipsen ein Foto, und wir setzen uns hin und machen eine kurze Pause.

Oldsmobile für den Austausch von Spionen zwischen Ost und West

Dem Mauerweg entlang spazieren wir durch Wannsee, hinunter zur Havel, durch den Wald, der am Vormittag weitgehend menschenleer da liegt, weil die Berlinerinnen und Berliner wohl noch am Einkaufen sind. In einem Waldrestaurant dann ein erster Halt – wir wollen es heute ganz locker nehmen. Ein Fidler geigt «If I were a Rich Man …», das Akkordeon begleitet ihn, wir peilen die nächste Brücke an, zwischen Kleinem und Grossem Wannsee, marschieren an Villen vorbei, die geheimnisvoll hinter verschlossenen Toren und hohen Zäunen in prunkvollen Pärken liegen. Mit meinem Rucksack komme ich mir etwas unpassend vor in dieser Gegend und später gesellt sich Enttäusschung dazu, weil sich unten am Ufer der Havel keine nächste Gastwirtschaft zeigt. Nur private Yacht- und andere Clubs, ein grosses Schwimmbad, später kleine Sand- und Wiesenstrände.

Zu morgendlicher Stunde im Wirtshaus Moorlake am Wannsee

Wir wagen es vorerst noch nicht, uns zuzugestehen, dass uns gar nicht mehr so sehr ums Wandern ist. Wir möchten uns jetzt dann einfach hinsetzen, ein Bier trinken oder einen Eiskaffe und nicht den ganzen Grunewald durchqueren. Die Beine werden etwas schwer, aber wir ziehen es bei doch üppiger Hitze knallhart durch. So sind wir nun mal.

Um 16 Uhr sitze ich mit Fausi an einem Tischchen im «Waldmeister» bei der S-Bahn-Station Grunewald, das Glas vor mir, das Telefon in der Hand und berichte Moni zuhause: «Wir sind angekommen.»

Schon wieder Wirtshaus, diesmal Waldmeister, wo der Fussmarsch zu Ende geht

Ja, ein besonderer Moment für Moni und mich, es war eine lange Zeit und wir freuen uns aufs Wiedersehen. Am 12. Juni bin ich in Birsfelden aufgebrochen, etwa zwei oder drei Mal hatte ich das Gefühl, ich müsse das Vorhaben abbrechen, zwei Mal wegen den Füssen, einmal wegen Zeckenbiss, der sich so ausweitete, dass ich in Nürnburg den Ärztlichen Bereitschaftsdienst aufsuchte. Ich habe hier nichts darüber geschrieben, einfach so, aber es war für mich eindrücklich, wie unbürokratisch das ganze Prozedere ablief, wie kompetent die beiden Ärzte den Schaden angeschaut und beurteilt haben und dass das alles kostenlos war. Das einzige Problem bei der Anmeldung war die Verwirrung, welche die Computer stifteten. Das Herkunftsland «Schweiz» kannten sie nicht und die beiden Damen bei der Aufnahme zerbrachen sich den Kopf, wie denn das gehen könne, dass die Schweiz angeblich in Europa liege, aber nicht in der EU sei.

Sonst habe ich weder etwas Beängstigendes erlebt, noch ist mir etwas Gröberes zugestossen, verloren habe ich nichts, gestohlen wurde mir ebenso wenig. Ich habe lustige und weniger lustige, freundliche und unfreundliche Leute getroffen wie überall auf der Welt, aber schon vor allem angenehme. Die Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern dünken mich noch recht gross. Nicht alle spüren sie in gleichem Masse: Wer zum soliden Mittelstand gehört und darüber hinaus, scheint sich im ehemaligen Osten wohl zu fühlen, wer sich nach der Decke strecken muss, erinnert sich an viel Positives aus der guten, alten Zeit.

Die Reise war in verschiedener Weise geprägt durch die Corona-Pandemie. Leute, die wegen der wirtschaftlichen Einbussen klagten, traf ich immer wieder. Für viele bedeuten sie den wirtschaftlichen Ruin, leiden müssen fast alle darunter. Das Maskentragen im öffentlichen Verkehr oder in den Läden gehört zum Alltag und wird klaglos befolgt. Viele Sehenswürdigkeiten, die man normalerweise besuchen könnte, sind geschlossen. Andererseits ist der Andrang an den zugänglichen Orten sehr viel kleiner als in anderen Jahren. So ist es beispielsweise in normalen Zeiten kaum möglich, als zeitweilig einziger Gast durch Goethes Gartenhaus in Weimar zu gehen.

Und mit der Metro ins bunte Berliner Treiben

Kaum jemals habe ich es erlebt, dass eine Anfrage für eine Unterkunft abschlägig beantwortet wurde, weil die Pension oder das Gasthaus ausgebucht gewesen wäre. Ich fand fast immer einen Platz und wenn die Suche schwierig wurde, hat sich Moni zuhause an den Computer gesetzt und mir aus der Ferne etwas gefunden. Herzlichen Dank, meine Liebe, und auch Dank für die grundsätzliche Unterstützung für die Idee, von Basel nach Berlin zu wandern. Eine Idee, die nicht allen Leuten auf Anhieb einleuchtet.

Und wenn ich hier zum Abschluss meines Reiseberichts schon am Danken bin, möchte ich auch Richard, Lix, Fausi und Hugo danken, die mich ein Stück des Weges begleitet haben, was jeweils eine willkommene Abwechslung war.

Durstig, aber sonst zufrieden, mit Fausi (rechts)

Und dann auch das: Es haben mehr Leute diesen Blog gelesen und angeschaut, als ich erwartet habe, und ihr Gefallen bekundet, ihn auf Facebook empfohlen und mir tolle Rückmeldungen geschickt. Herzlichen Dank auch dafür! Und wer die Reise nun fortsetzen möchte, zum Beispiel nach Moskau – dem oder der empfehle ich Wolfgang Büscher Reiseroman «Berlin – Moskau, Eine Reise zu Fuss». Ist natürlich viel schwieriger zu bewerkstelligen, entsprechend abenteuerlicher und heroischer das Geschehen.

Nun ist auch mal Schluss mit diesem Bericht. Mit Fausi bin ich das letzte Stück nach Berlin spaziert, wir haben zusammen mit Sylvia Znacht gegessen, werden morgen das eine und andere anschauen. Dann besuche ich noch liebe Bekannte in Berlin, schaue mir später ein Weilchen dies und das an und steige dann irgendwann in den kommenden Tagen in den Zug.

Hier nochmals die Karte mit der Route meiner Wanderung. Man kann alle Orte und Strecken anklicken und kommt dann zum Link, der zum entsprechenden Bericht führt. Danke fürs Lesen und bis ein ander Mal.