Rheinfall, touristenfrei

Spur durch Deutschland, Erzingen – Schaffhausen, 16. Juni 2020. In Erzingen erhält man auf dem Bahnsteig ein Frühstück. In Hallau trinken Handwerker Rimuss zum Mittagessen. Und am Rheinfall lassen wir uns als einzige Passagiere im Boot ans andere Rheinufer hinüberfahren. An den tosenden Wassermassen vorbei.

Das Wasser stürzt die Felsen runter und fast niemand schaut zu

Im Shanghai-Hotel waren wir wahrscheinlich nicht sehr willkommen. Man hat uns das gestern Abend durch die Masken hindurch merken lassen. Es schien ausser mir und Richard auch niemand im Hotel genächtigt zu haben und so hat man das Warmwasser grad ganz abgestellt. Die Empfehlung der maskierten Kellnerin, den Morgenkaffee im Fressnapf zu trinken, haben wir in den Wind geschlagen, weil im Bahnhof Erzingen, wo wenig Züge durchfahren und die Gebäude kaum mehr bahntechnisch genutzt werden, ein feines Café entstanden ist.

Sieht doch elegant aus!
Es ist fein, weil das Frühstück sehr lecker aussieht und uns die Bedienung ausnehmend freundlich begrüsst mit der Bitte, die Maske anzuziehen, wenn wir den Kaffee bestellen. Am Tischchen, das draussen am Bahnsteig steht, könnte man sie allerdings wieder ablegen, doch Richard tut das erst, als er einen Schluck Kaffee trinken will.

Gleich nach der Grenze, zurück in der Schweiz, breitet sich die Hallauer Landschaft aus, eine Mulde, die in den Jahrmillionen zur weiten Ebene geworden ist. An den Rändern wächst der Wein, den unsere Grossväter – und vielleicht auch die Väter noch – getrunken haben, wenn das Sackgeld gegen Ende des Monats langsam zu Ende gegangen ist.

Hallau und seine Rebberge

Unterdessen machen die Winzer hier auch einen vorzüglichen Wein, und der «Hallauer» hat jetzt seinen Preis, was man an den Fahrzeugen sieht, in denen die Winzer durch die Rebberge fahren. Starke Volvos, mächtige Mercedes, schwere Pickups, die keinen Platz für Wanderer auf den Feldwegen übriglassen. Kleine Bachläufe durchziehen die Ebene, in den Dörfern plätschern Brunnen und die Dorfkerne von Trasadingen und Hallau sind stilvoll renoviert, die Restaurants früherer Jahre zu Wohnhäusern umgebaut. Alte Wirtshausschilder hängen nur noch zur Zierde an ehemaligen Gasthöfen.

Wir finden dann den Ratshauskeller, lassen uns in der Gartenwirtschaft nieder. Es ist Mittag. Geschäftsleute setzen sich an die Tische, Handwerker auch. Es gibt Polenta und Römer Braten, und hol’s der Kuckuck, es ist kein Scherz: Zum Mittagessen bestellen hier in Hallau sowohl Geschäftsleute als auch Handwerker jeweils eine Flasche Rimuss.

Mohnlandschaft

Wir spazieren über Felder, grüssen Reiterinnen und Reiter, Radfahrer und Bauern auf Traktoren, reden nicht mehr über Pikettys Ungleichheit, sondern über Trump und seine Gleichgewichtsstörungen, die CNN vor einer Woche gezeigt haben soll und die keiner von uns gesehen hat. Wir reden über Weizen, Mohn und Gerste, Subventionen und grosse Traktoren. Über Grundeinkommen, wo wir uns nie einig werden, weil ich in Basels Unternehmen Mitte gesehen habe, aus welcher Küche dieses Gericht kommt und Richard es nicht gelten lassen will, dass eine schlechte Küche schlechtes Essen kocht. Jedenfalls in diesem Fall. Mir wäre da der Kampf gegen Pikettys Ungleichheiten vordringlicher, als Almosen zu institutionalisieren. Wer Almosen gibt, will soziales Gefälle betonieren und erwartet Demut. Über solche Sachen reden wir.

In Neunkirch, das ich bisher nur vom Geographieunterricht her kannte und das eigentlich ein Städtchen ist, sich jedenfalls so nennen darf, begegnet uns eine Truppe älterer Wanderer (etwa in unserem Alter), die uns auslacht wegen unserer grossen Rucksäcke. Das finden wir nicht lustig und in dieser Stimmung müssen wir, um möglichst direkt auf Schaffhausen zuzusteuern, ein Stück weit am Rand der stark befahrenen Landstrasse gehen. Das sollte man nicht tun. Jedenfalls nicht zu zweit. Denn irgendwie macht das einen sauer. Und zwar auf den anderen. Auf mich, weil ich diese Richtung vorgeschlagen habe.

Wird alles wieder gut. Guntmadingen ist ein reizendes Dorf, erinnert irgendwie an Gottfried Kellers Dörfer, vielleicht weil man sie sich immer so vorgestellt hat. Wie wir den Wald oberhalb des Dorfes erreichen, dünkt uns schon, wir hörten den Rhein rauschen. Stimmt aber nicht. Wir steigen den Hang hinunter, durch dichten Wald, der keine Aussicht zulässt, und dann hören wir das Rauschen, erahnen und erblicken das weiss schäumende Wasser, das sich die Felsen runter stürzt. Wir stehen vor dem Rheinfall.

Wie auf der Postkarte

Etwas ist sehr seltsam: Fast keine Leute an den Geländern, auf den Plattformen, auf dem Felsen in der Mitte des Rheinfalls, kaum Autos auf den Parkplätzen. Ein Paar mit Motorradhelmen, ein weiteres aus dem Berner Oberland, ein paar versprengte Japanerinnen und eine italienischsprechende Familie – das sind schon fast alle. Die Touristen sind noch nicht zurückgekommen. Wir lassen uns in einem Boot auf die andere Seite fahren, sind ganz allein mit dem Bootsführer, Richard lässt vor Staunen gar den Regenschirm, den er gestern gekauft und noch gar nicht gebraucht hat, im Schiff liegen und auf der anderen Seite steigen wir hinauf und suchen Schaffhausen auf. Die Stadt, in der Richards Grossvater eine Bäckerei betrieb. Eine solche Stadt weckt Erinnerungen. Wir schlendern durch die Strassen, Gassen, schauen den Leuten zu, die den Feierabend feiern und steigen ab im Backpacker-Hotel Zak.

 

 

Ein Gedanke zu „Rheinfall, touristenfrei

  1. Ich habe alle 5 Folgen gelesen und wandere im Geist mit! Wenn du in München bist, bin ich mit meinem Reha-Knie so weit, dass ich realiter ein Stück mitlaufen kann.

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