Die Tücken der reinen Lehre

Rund ums Baselbiet, Etappe 3 von Ettingen nach Burg – 13. Mai 2019. Soll ich dem Grenzverlauf auch in unwegsamem Gelände folgen? Selbstverständlich! Doch schauen wir mal … .

Frühlingshafter Ausblick über Hofstetten hinweg auf Mariastein und die Landskron
Himmel wolkenlos – aber ein bisschen kühl ist’s schon um Viertel vor neun auf dem Bahnhof Ettingen und dazu ein so gnadenlos helles Licht. Das Rapsfeld drüben am Hang gegen Hofstetten hinauf leuchtet intensiv und der Laubwald, wo die Grenze zwischen Basel-Landschaft und Solothurn hinaufgeht – und zwar fadengrad – strahlt im diesem frühlingshaften Hellgrün. Joggerinnen kommen einem entgegen, schauen misstrauisch, ich weiss nicht warum.

Es gibt keinen Weg der Grenze entlang in diesem Wald. Alle Pfade mäandern hinauf, ein paar hundert Meter nach Westen, dann Spitzkehre und ein paar hundert Meter nach Osten. So geht’s natürlich auch, aber ich entscheide mich, dem Grenzverlauf möglichst genau zu folgen, verpflichte mich damit sozusagen der reinen Lehre und kraxle durchs Gebüsch hoch. Das ist sehr anstrengend und ich schwitze, halte mich an Buchenstämmen fest, zieh mich auch mal hinauf, bis ich den ersten hinaufmäandernden Weg quere.

Immer geradeaus hoch
Ich überschreite ihn und kraxle wieder hoch und begegne einer leeren Feldschlösschen-Bierdose, die vor Jahren mal einer zertreten und liegengelassen hat. Vielleicht war er auch ein Vertreter der reinen Leere, aber ich weiss nicht von welcher, vielleicht hat der Wind die Dose hierhergetragen. Die Aufschriften sind gut lesbar, das Verfalldatum war der 5. Januar 2005. Regen, Kälte und Hitze können Bierdosen kaum zusetzen. Ich schleppe die Alubüchse hoch, stecke sie auf einen Stecken am Wegesrand und verlasse die reine Lehre.
Mahnmal am Wegesrand
Keine Lust mehr auf Dickicht im Steilhang. Ein Wanderpfad führt mich nach Hofstetten – die erste Anhöhe habe ich somit erreicht. Ich durchwandere das Tal, habe eine wunderschöne Sicht auf Mariastein und die Landskron, biege in der Nähe der Ruine Fürstenstein in den Wald und habe nun überhaupt keine Lust mehr, sklavisch dem Grenzverlauf zu folgen.

Es geht steil hinauf auf Wanderwegen, zwischendurch führen sie an wunderbaren Aussichtspunkten mit Sicht auf die Stadt oder ins Elsass vorbei. Manchmal setze ich mich kurz, aber der Wind ist kühl und treibt mich weiter. Der Boden feucht, die Spuren der schweren Waldmaschinen, die in den letzten Wochen geholzt haben in dieser Gegend, sind voller Wasser. Ich erreiche die Krete des Blauenberg, es muss hier oben ein Paradies für Biker sein. An den grimmigsten Steilhängen erkenne ich Abdrücke der breitem Velopneus.

Begegnungen auf dem Blauenberg

Und dann, nach dem «Chremer», wird der Spaziergang wunderschön. Im dichten Wald vorerst noch, aber rechts unten weiss man das Leimental, links das Laufental. Manchmal erhasche ich durch die Laubkronen der Bäume, die beidseits in den steilen Abhängen stehen, einen Blick auf die Ebene.

Vom Mätzelerchrütz zum Blauepass
Der Weg ist nun eben, auf 700-800 Höhenmetern, weich, manchmal mit Karststeinen gepflastert oder so. Ich komme voran wie s’Büsiwätter. Beim Wegweiser auf dem Blauenpass steht eine Frau, Mitte vierzig wohl, in sportlicher Kleidung. Leggins, wetterfeste Bluse, Laufschuhe. Sie schaut auch etwas verwundert und so beginnen wir zu reden. Sie ist aus Therwil und trainiert und rennt da die steilen Hügel hinauf und hinunter. Mal auf den Blauenberg hinauf oder auch mal nach Mariastein. Da sage ich, dass ich mal nach Mariastein rennen wollte mit jemandem aus Basel und sie sagt – ach ja, etwa dreissig Kilometer. Da sage ich, nein, nein, nur hin – nicht hin- und zurück. Jetzt hält sie mich vielleicht für ein Weichei, erst recht als ich sage, dass wir es dann doch nicht gemacht haben. Ich erzähle ihr, dass ich versuche, rund ums Baselbiet zu wandern und das findet sie ganz toll. Dann zeigt sie mir, in welcher Richtung Blauen liegt und in welcher Metzerlen, wir verabschieden uns und ich frage, ob sie auch Rennen laufe. Sie sagt, sie wolle den Jungfraulauf machen und etwas ähnliches im Tessin. Die Grenze suchen, sagt sie. Ich nicke, wir sagen uns Ade, und ich denke über die Grenzen nach.

Blick ins Laufental
Beim Metzerlenchrüz treffe ich nochmals eine Frau. Sie ist jünger als die vorhin und hat die Kapuze hochgezogen und einen Hund an der Leine. Wir reden auch ein bisschen und sie geht nach Metzerlen und ich auf den Brunneberg. Nun öffnet sich der Blick manchmal ins Laufental, da und dort ist gründlich gerodet worden. Ich setze mich auf ein Ricola-Bänklein, schaue hinunter nach Laufen, Wahlen, Breitenbach, wo ich in einigen Tagen oder Wochen dann vorbeimarschieren werde. Von hier oben sieht das Laufental gar nicht so eng und düster aus, wie wenn man untendurch fährt. Im Gegenteil: Es liegt freundlich in der Frühlingssonne.

Das weite Elsass

Auf der anderen Seite sieht man in der Elsässer Ebene. Weisse Flecken, wo die Dörfer liegen, ich mag mir gar nicht vorstellen, wie die alle heissen. Der Brunneberg liegt auf 875 Meter über Meer und ist – wie eine Tafel verkündet – die höchste Solothurner Erhebung im nördlichen Jura, was immer das bedeuten soll und heissen mag. Die Wiese da auf dem Brunneberg heisst Renzenmatte, wahrscheinlich weil es so viele Renz gibt unten in Metzerlen. Einem von ihnen muss sie gehört haben oder gehört sie immer noch. Es ist heute keine Wiese mehr, sondern Wald, aber wenn die so weiter holzen dort oben, wie in den letzten Wochen, wird es bald wieder Wiese sein.

Grenzstein mit Berner Bär
Nach dem Challpass entdecke ich einen alten Grenzstein, auf dem noch der Berner Bär trottet. Seltsamerweise hat jemand die Jahreszahl 1993, als das Laufental von Bern zum Baselbiet wechselte, reingemeisselt, aber der Bär blieb auf dem Stein und verwittert still vor sich hin. Weiter unten treffe ich auf ein munteres Grenzbächlein, das lieblich über bemooste Steine plätschert wie in einem Gedicht aus dem frühen 19. Jahrhundert. Es hat keinen Namen, wie ich auf der Karte feststellen muss, wahrscheinlich weil es bei der «Hingeri Riti» (was ein Flurname ist) relativ unspektakulär in einer Wiese versinkt und diese versumpft.
In der ganzen Länge auf die Kantonsgrenze gefallen
Vorher wundere ich mich aber noch über eine Buche, die von irgend einem Sturm der letzten Wochen gestürzt wurde, und nun genau auf der Grenze liegt. Ich stelle mir vor, dass die beiden Kantonsförster von Baselland und Solothurn auf dem Korrespondenzweg erörtern, wer da zuständig sei.

Bei der «Hingeri Riti», eben dort, wo das Grenzbächlein im Nichts verschwindet, sitzen zwei Grenzbeamte in einem Jeep mit Anhänger und erklären mir, wo die Baselbieter Grenze, die nun um Burg herum wieder die schweiz-französische Landesgrenze sein wird, durchführt. Ich kann ihrem Rat aber nicht folgen, weil ich mitten durch eine ungemähte Wiese stapfen müsste.

Burg im Leimental
Ich versuche, sie zu umgehen, und stehe wieder tief in Frankreich. Also: relativ tief. Das hat wohl mit dem Dorf da vor mir zu tun, mit Burg im Leimental. Eigentlich wendet es sich Frankreich zu in seiner ganzen Pracht, schaut hinaus in die Elsässer Weite und hinter sich erhebt sich mächtig der Jura, wo dann auf der anderen Seite die Schweiz liegt. Ich wandere hinein ins Dorf, spaziere durch Quartiere, in denen ziemlich reiche Leute wohnen müssen, so wie die Häuser aussehen. Irgendwo hat sogar ein Pferd einen Neubau erhalten. Manchmal fährt ein SUV vorbei, aus dem mich verwunderte Blicke treffen. Ich beschliesse, dass hier die Etappe 3 zu Ende sei und steige in den Bus nach Flüh.

Und morgen geht’s an dieser Stelle weiter nach Huggerwald

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