Rund ums Baselbiet, Etappe 2 von Schönenbuch nach Ettingen – 3. Mai 2019. Seit Corona die Welt im Griff hat, überwachen gepanzerte Fahrzeuge die grüne Grenze zwischen dem Kanton Baselland und Frankreich. Das war doch eben noch ganz anders – man fand die Grenze kaum.
Spaziert man die Zollstrasse in Schönenbuch runter, durch ein Einfamilienhausquartier, steht einem unvermittelt eine Barriere im Weg. Ein Kehrichtwagen stoppt hier, wendet, fährt wieder hoch. Hinter der Barriere heisst der Weg nicht mehr Zollstrasse sondern Rue du Moulin. Die Barriere ist wegen dem Verkehr, sagt eine Frau, sonst hätte man hier den ganzen Tag Autos, die den Weg von Hagenthal nach irgendwo abkürzen, besonders an Wochenenden. «Nach irgendwo», hat sie gesagt. Ich umgehe den Grenzbalken. Die Landesgrenze durchquert einen Garten, dann eine Wiese. Hier der Grenze genau zu folgen, wäre etwas indiskret, zudem steht auf der Wiese das Gras sehr hoch und ist regennass, und so entschliesse ich mich für eine gröbere Abweichung vom Grenzverlauf und ziehe weiter auf einer Teerstrasse, die ins französische Hagenthal führt, gehe dann eine Schotterstrasse hoch bis zu einem wiederum geteerten Weg, der mich aus dem Dorf Schönenbuch hinaus auf französische Felder bringt. Wir sind da schon oft spaziert, wussten aber gar nicht, dass das Frankreich ist. Die Grenze zieht sich unmittelbar hinter den gepflegten Schweizer Gärten hoch, manchmal durch sie hindurch und hier wage ich es, dem wahrhaftigen Grenzverlauf zu folgen.
Eine dumme Idee. Nach kurzer Zeit ist die Hose pflotschnass bis zu den Schenkeln hinauf. Es nieselt leicht. Eine Frau führt ihren Hund spazieren. Pferde weiden. Rinder auch. Ein Trampelweg führt von einem Grenzstein zum nächsten, manchmal ruht eine Ruhebank. Auf der Höhe, wo sich der Weg gegen Neuwiller senkt, haben die Schönenbucher eine neue Sitzbank sozusagen auf einen Grenzstein gebaut. Die Weite ist grau, Wolken hangen tief, das Gras steht so hoch, dass ich von vorbeifahrenden Autos nur das Verdeck sehe. Unten liegt Neuwiller, ein paar hundert Meter südwärts liegt der Bänggenspitz, wo ich vorbeiwandern muss, aber zuerst gilt es, Neuwiller in grossem Bogen zu umrunden.
Eine Kindergartenklasse versucht am Waldrand, ein Feuer zu machen und in der Ferne höre ich einen Hahn krähen. Vielleicht ist es unser alter Johann, den wir vor zwei, drei Jahren hierher ins grenznahe Ausland abschieben mussten, weil er einen Teil der Nachbarschaft zu ungebührend früher Stunde aus der Bettruhe zu holen pflegte. Beim verlassenen Zollhaus zwischen Allschwil und Neuwiller mache ich ein paar Fotos und die Autos, die vorbeifahren, bremsen ab, weil ich sie in meinem Outdoor-Outfit vielleicht an einen Zöllner erinnere. Und wie ein Zöllner aussieht, weiss man heutzutage gar nicht mehr so richtig.
Über den Neuwillerbach führt zwar kein Steg, dafür ist er zu klein, aber Betonsäulen markieren, dass da ein Grenzübergang ist. Es geht wieder hoch und im Dickicht hat jemand ein Trottinett mit einem Zahlenschloss-Kabel befestigt. Es sieht nicht so aus, als ob der Besitzer je wieder zurückkäme. Es folgt das Bänggli, das ein gewisses Emmeli ihren lieben Mann im Sommer 2007 geschenkt hat. Ich trinke einen Kaffee aus der Thermosflasche. Ein Wanderer stakst heran. Dann rennt eine Joggerin vorbei. Sie schaut argwöhnisch. Nun beginnt es ziemlich heftig zu regnen und ich steige wieder hinauf zu einem Wald, wo mich der Weg zum Meierhegli führen soll. Ein Mann mit Hund kommt entgegen, dann einer mit drei Pferden und schliesslich eine Frau mit zwei Pferden. Im nächsten Wald stehen alte Grenzsteine aus dem Jahr 1816 und plötzlich dünkt mich, der Baselstab stehe auf der falschen Seite und das französische Wappen ebenso. Das macht mich stutzig, bis ich begreife, dass ich mich verlaufen habe. Ich drehe mich zwar nicht gerade im Kreis, aber im Dreieck.
Nun erwartet mich ein ganz kurioses Grenzstück – der Bängge-Spitz. Zuerst einem Bächlein entlang, dann über Äcker und Wiesen durch den sogenannten «Hasenbaum» und wenig später einem Waldrand aufwärts in südwestlicher Richtung folgend: Ein maximal zweihundertfünfzig Meter breiter Waldstreifen ragt wie eine Speerspitze einen Kilometer nach Frankreich hinein. Da muss ich drum herum. Es ist sehr rutschig hier, sehr lehmiger Boden. Zeitweise sumpfig. Vorn am Bänggenspitz stehe ich keinen Kilometer weit entfernt von der Schönenbucher Grenze, wo ich vor anderthalb Stunden durchgegangen bin. Wie es mit diesem Baselbieter Landzipfel auf sich hat, der zwischen Neuwiller und Leymen nach Frankreich vordringt, ist nicht so ganz klar. Es soll einer Ritterfamilie Schaler einst als Jagdrevier zugestanden worden sein, aber wie erfolgreich die Ritter auf diesem schmalen Landstrich, der mit seinen 62 Metern die geodätisch engste Stelle der Schweiz sein soll, gejagt haben könnten, übersteigt meine Vorstellungskraft.
So, und dann trinke ich noch einen Kaffee auf dem Gränz-Bänggli oberhalb Biel-Benken, blicke zurück nach Neuwiller und in die elsässische Weite. Der Abstieg hinunter ins Leimental ist recht steil, ich klettere sozusagen den Reben entlang den Hang hinunter, Schafe auf der französischen Seite, die hier mit einem Stacheldrahtzaun abgetrennt ist, begleiten mich blökend und ich versuche eine Antwort zu finden, warum man hier die Grenze mit Stacheldraht hochzieht, obwohl ich jetzt einen Tag lang beliebig von Frankreich ins Baselbiet wechseln konnte. Und es wieder tun kann, nachdem ich den Birsig überschreite.
Am Zoll zwischen Biel-Benken und Leymen verlasse ich die französische Grenze und folge jener zwischen Basel-Landschaft und Solothurn. Viel Teer, alles geradeaus, von weitem grüsste das Bruderholz-Spital, dann sogar der Roche-Turm. Die Gemeinde Therwil hat eine Panorama-Tafel an den Wegrand gestellt, wo man sehen könnte, wie all die Hügel heissen würden, die man jetzt gar nicht sehen kann, weil die Wolken immer noch tief hängen.
Biel-Benken linkerhand, rechts Bättwil, Witterswil, vorne Ettingen. Ich muss den Grenzverlauf wieder verlassen, weil er mitten durch einen Acker führt und mache einen grösseren Bogen. Einen Mann mit Hund überhole ich, dafür sind zwei Jogger schneller. Komme am Schliefhof vorbei, der ziemlich gross und von weitem zu riechen ist. Da müssen sehr viele Schweine wohnen. Der Geruch ist intensiv. Dann höre ich sie quieken und mache ein Foto. Aber erst jetzt sehe ich, dass das «naturafarm» ist – «für tierfreundliche Haltung». Das informative Schild beruhigt mich enorm und ich frage mich, ob es heute zum Znacht ein Kotelett geben soll. Über das «Banntagsbrüggli», das 2008 gelegt wurde, überquere ich den Binnbach, der genau hier zum Schleifbach wird. Ettingen kommt näher, der Regen setzt ein. Das war die zweite Etappe des Bannumgangs.
Und morgen geht’s hier im Blog auf die dritte Etappe.