Mainz – Bingen: Die Werktätigen suchen ihre Büros und Arbeitsstätten auf, während sich rüstige Rentner auf Ausflugsschiffen, in Gaststätten oder am Oktoberfest in Rüdesheim verlustieren. Auf Schulausflügen über Kinder, den alten Gutenberg auf Linie zu bringen.
In Elteville erhielt Buchdrucker Johannes Gutenberg die einzige Ehrung zu Lebzeiten
Kurz nach dem Start im Hotel Schott spricht uns vor einem Rotlicht ein Mann an. Er wird uns im Laufe des Geplauders seine Visitenkarte übergeben: Roman Delp, Makler. Ihm hat es Monis Velo angetan, mit dem dunkelroten Rahmen, den weissen Reifen und dem Körbchen hinten drauf. So ein Fahrrad gebe es wohl nur in der Schweiz zu kaufen, sagt er. Wir wissen es nicht. Er zählt alle Schweizer Velomarken auf, die er kennt. Eine, die es auch noch gebe, fällt ihm aber nicht mehr ein. Ich frage, ob er an «Villiger» denken. Doch sowas hat er noch nie gehört. Wir können nicht weiterhelfen. Er fragt, ob das gut gehe, wenn der Mann ohne Strom fahre und die Frau auf dem E-Bike. Wir sagen, das gehe sehr gut, das ergänze sich irgendwie. Er kann das nicht verstehen. Ob dieses Rad denn nicht eine gelbe Nummer brauche, fragt er. Er habe in der Schweiz schon Räder mit gelben Nummern gesehen. Wir sagen, dass das nicht der Fall sei. Dass das nur für stärkere E-Bikes gelte.
Er erzählt uns, dass er zur Zeit Hindi lerne. Er vermiete Zimmer an IT-Techniker, die für eine gewisse Zeit in Mainz leben. Zur Zeit beherberge er zwei Inder. Er habe schon Iren gehabt, Kanadier, einen Franzosen marokkanischer Abstimmung. Und er rede gern mit seinen Gästen. Deshalb lerne er Hindi. Er war mal mit einer Afrikanerin verheiratet und seine Mutter wohnt in Bingen, wo wir nun hinzufahren gedenken. Bingen, wo einst die Hildegard gelebt hat, die Heilige. Das findet Roman Delp lustig, aber nun muss er ins Büro, und wir fahren los.
Ein Gutenberg für 300 Euro
Wir überqueren die Brücke, weil rechtsrheinisch die Radwege in besserem Zustand sein sollen. Und wir können uns nicht beklagen. Es ist angenehm frisch an diesem Morgen, wir kommen tüchtig voran und staunen, dass ein Städtchen Elteville heisst. Tönt fast französisch. Es sieht hier alles sehr hablich aus. Wir gelangen auf einem gepflasterten Weh zu einer Burg, wo einst der Fürstbischof residiert und wo Gutenberg seine einzige Ehrung zu Lebzeiten erhalten haben soll. Im Schlosshof und im Rosengarten, der dazu gehört, stehen 165 meterhohe Gutenberg-Figuren in Rot, Schwarz und Gold. Sie sind aus Kunststoff und man kann sie für 300 Euro das Stück kaufen, erzählt uns Frau Buder, die hier so eine Art Fremdenführerin und grad nichts zu tun hat. Man weiss zwar nicht, wie er ausgesehen hat, weil es kein einziges zeitgenössisches Bildnis von ihm gibt, aber diese Plastik könnte ihm nahe kommen. So sagt es jedenfalls Frau Buder, die sich sehr viel Zeit für uns nimmt, weil sie einfach Zeit hat und wir auch.
Schulklassen, die auf Ausflug hier sind, finden das alles toll und stellen die Gutenberg-Figuren in immer neuen Formationen auf. Manchmal im Halbkreis, dann in einem geschlossenen Kreis, in Dreier- oder Viererkolonne. Frau Buder sagt, am häufigsten stellten Schülerinnen und Schüler die Figuren in Einerkolonne hin. Also in eine Art Warteschlange. «Manchmal gruppieren sie die kleinen Gutenberg in Einerkolonne so vor dem WC», sagt Frau Buder und lacht. Sei empfiehlt uns, die oberen Stöcke des Wehrturms anzuschauen. Im ersten ist ein Trauzimmer eingerichtet. Im zweiten ein kleines Gutenebrg-Museum. Ganz zuoberst ist die Aussicht auf den Rhein und die ganze Landschaft toll.
Im Restaurant neben dem Wehrturm bestellen wir Zwiebelkuchen und Federweisser. Die Serviererin sagt, wenn wir was essen wollten, müssten wir eine halbe Stunde warten. Es sei eben eine Gruppe von dreissig Leuten gekommen und die hätte Vorrang. Die Aussicht von der Gästeterrasse ist grossartig und es dauert dann doch keine dreissig Minuten bis zum Käsekuchen.
Ein traumhaftes Septemberwetter. Etwas sehr warm vielleicht zum Velofahren. Wie wenn man im Juli auf eine Tour gehen würde. Manchmal beängstigt die Trockenheit etwas. Wann hat‘s das schon gegeben – so eine lange regenlose Zeit. Das Laub der Wälder ist graugrün – an ein herbstliches Bunt ist gar nicht zu denken. Die Blätter werden einfach kraftlos zu Boden fallen. Auch die Reben leuchten nicht. Hier hängen die meisten Trauben noch. Die Winzer freuen sich auf die Oechsle – aber ein bisschen unheimlich ist ihnen die Dürre schon. Allzu weit wollen wir heute nicht fahren. Wir breiten eine Decke aus, legen uns auf die trockene Wiese und dösen ein bisschen vor uns hin, während Ausflugsschiffe heitere Reisegesellschaften auf- und abwärts fahren.
Herr Köppel sagt …
Auf dem Rhein verkehren Ausflugsschiffe in grosser Zahl. Rüdesheim soll ein toller Ort sein. Vielleicht suchen wir dort eine Unterkunft. Über eine geplästerte Strasse fahren wir im Dorf ein und setzen uns in ein Café. Nein, da werden wir nicht bleiben. «Ballermann wie in Mallorca», wird uns später Herr Köppel in Bingen sagen. Bingen grad auf der anderen Seite des Rheins. Wir wagen trotzdem ein paar Schritte hinein nach Rüdesheim. Alles ist auf Oktoberfest getrimmt. Blauweisse Girlanden überall. «How pretty», ruft eine Amerikanerin.
Wir überqueren den Rhein auf der Fähre, erwarten etwas Ähnliches drüben in Bingen, weil uns Bingen irgendwie bekannter in Erinnerung ist, schon wegen der Hildegard. Aber die spielt offenbar keine Rolle mehr, auch wenn heutige genau ihr 839. Todestag ist. Bingen wirkt leicht verkommen, etwas verarmt, stellenweise verwahrlost.
Moni stösst ihr Velo bergan, lacht plötzlich: «Da schau! Ein Hotel Köppel!» Eigentlich wollen wir da nicht rein, aber was kann denn dieser Köppel schon dafür. Der war vielleicht schon da, bevor der unser Köppel sein Ding mit der Weltwoche begonnen hat. Dann treten wir an die Reception und staunen: Eine junge Frau chinesischer Herkunft empfängt uns. Sie trägt ihren einjährigen Sohn auf dem Arm. Er heisst Theo. Nicht Hans – nein, Theo. Sie sagt, zum Frühstück dürfe dann jeder Gast ein Stück Kuchen aus der zum Hotel gehörenden Konditorei auswählen.
Wir schlendern durchs Sädtchen. Es scheint wirklich schon bessere Zeiten erlebt zu haben. Auf dem Platz mittendrin bedient eine junge Frau allein all die Gäste. Sei ist flink und schafft das alles locker. Das Essen ist ganz gut, denn wir sind hungrig. Ein fahrender Händler packt seine Sachen zusammen und fährt langsam aus dem Städtchen raus. Eine einheimische Frau sitzt auf einer Bank neben dem Restaurant und liest lange und ausführlich Zeitung.
38 Kilometer