Der Bundesrat schlug der UNESCO 2014 vor, die Uhrmacherkunst in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufzunehmen. Das freut nicht nur Uhrmacher, sondern auch den Automatenmacher François Junod.
Eine Erfindung von Meister Junod: Dieser Zylinder soll einst Musik erklingen lassen
St. Croix im Waadtländer Jura hat zwar gegen 5000 Einwohner, doch wenn man im Dorf nach François Junod fragt, wissen die Leute sofort, wer gemeint ist und weisen einem freundlich den Weg zu seinem Atelier, einer ehemaligen Kartonagefabrik. Es sei nicht zu verfehlen, sagen sie, denn es stünden grosse Skulpturen auf dem Vorplatz. Was sie nicht sagen: Der Eingang zu Junods Reich ist nicht nur französisch beschriftet, sondern auch japanisch.
Ein verschmitztes Lächeln huscht über Junods Gesicht, als er sieht, wie der Gast die japanischen Zeichen anstarrt. Dann sagt er: «Damit mich auch japanische Kunden finden.» Der jugendlich wirkende 57-Jährige ist Automatier. Zu deutsch: Automatenmacher. Nach einer Lehre als Feinmechaniker liess sich Junod an der Kunstschule in Lausanne zum Bildhauer ausbilden und in der Kombination mit seinem Herkunftsort St. Croix, dem Uhrmacherdorf und Zentrum für Musikautomaten, ergab es sich dann, dass er Automatier wurde. «Schon die alten Ägypter bauten Automaten. Sie haben sie mit Sand zum Laufen gebracht», erzählt er, «die Griechen hielten sie mit Wasser in Bewegung und erzeugten so Erstaunen und Verwundern. Und ich stehe in der schweizerischen Tradition – wir treiben sie mit weiterentwickelten Uhrwerken an.»
Junod-fon, eine Weltneuheit
Aber er mag jetzt gar nicht über die Vergangenheit reden. Er möchte seine neuste Erfindung zeigen. Den Musikzylinder. Er lacht wieder so schelmisch: «Das Junod-fon.» Das gibt es nämlich noch nicht. Es sei nicht zu verwechseln mit den Musikautomaten und -dosen, bei denen die Musik von innen nach aussen komme. Beim Junod-fon werden die Klänge von aussen auf einen Resonanzkörper getragen wie bei einer Trommel. Im Moment baut er diesen Resonanzkörper. Aus präzise zurechtgeschnittenen Latten einer seltenen Fichte leimt er den Zylinder zusammen: Etwa 70 Zentimeter Durchmesser, anderthalb Meter hoch.
Drumherum wird er Klaviersaiten spannen, und wenn sich der Zylinder dann mit einer ausgeklügelten Mechanik dreht und der Hammer auf die Saiten schlägt, wenn eine Puppe sich zur Musik bewegt, dann wird sein Werk fertig sein. Zum 100-jährigen Jubiläum des Jaques-Dalcroze-Instituts in Genf einer Musik-Akademie, 2015, muss es vollendet sein. Da gab es einiges zu tüfteln: Braucht es im Resonanzkörper Löcher? Runde oder längliche? Wie muss die Mechanik genau konstruiert sein?
Ja, diese Mechanik. Sie ist seine Leidenschaft. In seiner Werkstätte – sie bietet Platz für sieben Mitarbeiter – stehen überall Räderwerke herum. Grosse Uhrwerke, die er erstanden hat, wenn Kirchenuhren erneuert wurden. Ganz besonders stolz ist er auf das frühere Uhrwerk der Kirche von Sumiswald oder auf jenes aus einer Strassburger Kirche. Auch kleine Werke stehen herum – von Pendulen bis zu Armbanduhren. Uhrmacherhandwerk, Uhrmacherkunst.
Eine Leidenschaft fürs Skurrile
François Junod ist hocherfreut, dass der Bundesrat bei der Unesco 2014 vorgeschlagen hat, die Uhrmacherkunst auf die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufzunehmen. Sie ist die Grundlage für Junods Schaffen. Schon seine beiden Grossväter waren hier in St. Croix in dieser Branche tätig, die dem Dorf einst weit über die Landesgrenzen hinaus einen legendären Ruf eingetragen hat. Nicht nur Uhren wurden fabriziert, auch Musikdosen, Musikautomaten, von denen nun viele im Dorfmuseum CIMA oder im Museum im solothurnischen Seewen stehen. Auch Junod hat schon Uhren und Musikautomaten repariert und konstruiert. Aber seine Freude am Skurrilen, am Verspielten, seine Neugier am Experimentieren bewogen ihn, die mechanischen Räderwerke auch in Puppen – in sogenannte Androiden – einzubauen.
Schaut man sich nämlich genauer um in seinem Atelier, stehen da nicht nur traditionelle Uhrwerke herum, sondern vor allem eigens konstruierte, in wochenlanger Arbeit ausgetüftelte Antriebe. «Sie erwecken meine Androide zum Leben», sagt Junod. Und hat man sich erstmals an das kreative Chaos in seinen Räumen gewöhnt, entdeckt man überall Menschen- und Tierköpfe, Arme, Beine, andere Körperteile in allen Grössen und aus verschiedenen Materialien, die irgendwann zu Figuren zusammengebaut werden.
Körperteile von Menschen und Tieren warten auf ihre Verwendung
Auf einer Werkbank steht ein Drahtgestell, etwa 50 Zentimeter hoch. Zahnräder und Drehstangen führen zu einem Paar Augen und zu darüber montierten, goldenen Wimpern. Zieht Junod das Werk auf und lässt es laufen, rollt das Phantom die Augen. Die Wimpern heben und senken sich neckisch. Auch wenn das Drahtgestell noch nicht verkleidet ist, so erkennt man an der angedeuteten hohen Kopfbedeckung, dass hier die berühmte ägyptische Pharaonengattin Nofretete entstehen wird.
Die Mechanik im Kopf der ägyptischen Pharaonengemahlin funktioniert bereits, nun muss das Gesicht noch modelliert werden
Nofretete ist eine relativ einfache Figur. Die bewegliche Eule, die heute in der Universiät Luzern steht, ebenfalls. Auch der Einsiedler in der Arlesheimer Eremitage, der den Kindern eine Schale für Münzen hinhält und sich mit einem Kopfnicken und Augenrollen bedankt, verfügt über eine überschaubare Technik. Von komplizierterer Machart ist hingegen der Zauberer, der zwitschernde Vögel zum Verschwinden bringt und sie wieder auftauchen lässt. Eine hochkomplexe Angelegenheit ist dann der zwanzigminütige Aufzug von Pferden und Figuren auf der Plaza Mayor in Madrid. An diesem Werke haben Junod und seine Mitarbeiter monate-, ja, jahrelang gearbeitet: Zu einem Glockenspiel trabt ein Pferd vorbei, hinter ihm Figuren, die Fanfare blasen, Fussball spielen oder tanzen.
Ein dichtender Androide
Als eines seiner Meisterwerke bezeichnet Junod den Androiden Alexander Puschkin. Die Puppe des russischen Nationaldichters sitzt an einem Tischchen und schreibt, angetrieben von einem mechanischen Werk, nicht nur verschiedene Gedichte, sondern schmückt sie zum Schluss auch mit einer Zeichnung. Ein kalifornischer Milliardär, der anonym bleiben will, hat sie in Auftrag gegeben.
Oder «Leonardo da Vinci». Die Drahtkonstruktion, neben der der modellierte Kopf – allerdings noch ohne Haare – bereits liegt, ist vollgepfercht mit einer Mechanik aus hochpolierten Zahnrädern, Gestänge und Achsen. «Ist da Vinci dann einmal fertig, wird er technische Skizzen und sogar die Mona Lisa zeichnen», sagt Junod. Man will das zuerst nicht glauben. Aber er zieht Blätter aus der Schublade, auf welchen der halbvollendete da Vinci sein Können getestet hat: Da lächelt einem Mona Lisa entgegen.
François Junod mit dem Kopf von Leonardo da Vinci. Die Mechanik (rechts) ist bereit – der Androide wird die Mona Lisa zeichnen, wenn er dann vollendet ist
Der Androide da Vinci – das ist hohe Kunst. «Aber man darf nicht vergessen», sagt Junod, «dass die Grundlage dafür das Uhrmacherhandwerk ist.» Zusammen mit anderen Fachleuten und Lehrern will er sich in den kommenden Jahren an den Berufs- und Fachschulen im Waadtland dafür engagieren, dass junge Leute sich das traditionelle Wissen aneignen und es weiterentwickeln. Ob sie dann später in der eigentlichen Uhrenbranche arbeiten oder ob sie eine Nische wie die des Automatenmachers finden, sei zweitrangig. «Auch wenn es die Lehre als Automatier nicht gibt, so kann man doch Automatier werden», sagt er und verweist auf seine Mitarbeiter. «Man erlernt den Beruf bei der praktischen Arbeit und solange es Kunden bis nach Japan gibt, solange wird es uns noch geben.»