Die Obwaldner Gemeinde Giswil beherbergt eine aussergewöhnliche Rarität: die letzte Schlegelsäge der Schweiz. Für Besucher wird sie in Betrieb gesetzt – und sie funktioniert tadellos.
Erwin Müller richtet die Säge für den nächsten Schnitt ein.
Ziehen, stossen, ziehen, stossen, ziehen – so einfach geht sägen. In der Werkstatt, im Garten, überall. Gut, heute gibt es Bandsägen, Kreissägen, Kettensägen – aber die ursprüngliche Art des Sägens ist halt schon das Ziehen, Stossen…
Und sägen macht müde. Besonders, wenn man von Hand einen Baumstamm längs sägen soll, damit Bretter entstehen. Es macht nicht nur müde, man muss auch äusserst konzentiert arbeiten, um aus einem Stamm gleichmässig dicke Bretter herauszusägen.
Das wussten aus eigener Erfahrung auch die vielen, jungen Obwaldner, die anfangs des 19. Jahrhunderts in den Schwarzwald auswanderten, weil sie in ihrer Heimat von Hunger und Armut bedroht waren. Sie verdingten sich im «Schwabenland» als Melker und entdeckten dort, wie die Schwarzwälder mit Hilfe der Technik das beschwerliche Ziehen und Stossen zum Kinderspiel machten. Sie lernten die Schlegelsäge kennen, die die Wasserkraft nutzte und einen Baumstamm innert weniger Stunden in Bretter zerlegte.
Innovative Heimkehrer
Einer dieser ausgewanderten Obwaldner aus Giswil berichtete nach seiner Heimkehr, dass im Schwarzwald eine solche Schlegelsäge zu kaufen sei. Die örtliche Alpgenossenschaft erwarb sich im Jahre 1860 das Wunderwerk, liess es mit Ross, Wagen und Schiff ans Wissibächli transportieren und baute es dort auf. Erst betrieb die Alpgenossenschaft die Sägerei, später verkaufte sie das Werk dem «alten Glaser-Peter», dessen Sohn in Giswil bis 1934 Bretter sägte. Erwin Müller von der Heimatkundlichen Vereinigung Giswil erzählt, hin und wieder sei ihr Stampfen sogar noch während des Zweiten Weltkriegs zu hören gewesen.
Erwin Müller ist pensionierter Agronom und widmet sich nun mit grosser Hingabe der Giswiler Lokalgeschichte und Heimatkunde. Zusammen mit Otto Abächerli, ebenfalls pensioniert und in der Heimatkundlichen Vereinigung engagiert, erwartet er die Besucher, um ihnen die Schlegelsäge vorzuführen. «Es ist die letzte in der Schweiz», sagt er, «und im Schwarzwald gibt es auch nur noch zwei.»
Otto Abächerli leitet das Wasser zur Sägerei
Abächerli schreitet sofort zur Tat und zwar etwa hundert Meter oberhalb der Säge. Er zweigt bei einer Flussschwelle mit ein paar Kurbeldrehungen Wasser in einen Schacht. Dieser führt zum Holzchännel beim Sägereigebäude, der über dem Wasserrad endet. Achtzig Zentimeter breit ist das Rad, es hat einen Durchmesser von 3,20 Meter und jede seiner 23 Taschen (oder Kasten) fasst 40 Liter Wasser.
Einen letzten Handgriff braucht es, um das Wasser vom Holzchännel aufs Rad zu lenken. Sofort beginnt es zu drehen.
Eine beachtliche Masse kommt da in Gang, viel Kraft wird freigesetzt. Erwin Müller bittet hinunter ins Untergeschoss, wo der sogenannte Wellbaum waagrecht in den Raum hereinragt und sich um die eigene Achse dreht. Er ist aus Eichenholz und auf der einen Seite fix an der Nabe des Wasserrads montiert. Das andere Ende im Gebäudeinnern dreht in einem Metalllager. Ursprünglich, so erzählt Müller, habe das Lager aus einer Steinschale bestanden, in die eine Speckschwarte eingelegt worden sei.
Unaufhörlich dreht der Wellbaum. Wie eine überdimensionierte Fahrzeugachse. Etwas sticht ins Auge: In der Mitte des Wellbaums sind zwei kräftige Holzrollen montiert, sie liegen einander entgegengesetzt und rotieren mit der Achse – oder, wenn man so will: Sie rotieren um die Achse herum. Das sind die Schlegel, die die Säge so besonders machen und ihr den Namen gegeben haben.
Der Laie will noch nicht so recht begreifen, wie dieser Wellbaum mit seinen aufmontierten Schlegeln eine Säge antreiben soll. Das Sägeblatt sieht man zwar schon, jedenfalls den untersten Teil. Es ist etwa zwei Meter hoch, aus währschaftem Stahl und senkrecht in einen kräftigen Rahmen aus Holzbalken eingespannt, der genau über den Schlegeln ruht. Der grösste Teil des Rahmens, der zusammen mit dem Sägeblatt etwa 300 Kilogramm wiegt, befindet sich oben im Sägereiraum. Der kleinere Teil ragt durch die Decke hindurch ins Untergeschoss, wo die Schlegel um die Achse drehen.
300 Kilogramm sausen in die Tiefe
Nun ist Otto Abächerli im oberen Geschoss an der Reihe. Mit einem schnellen Griff löst er die Arretierung des Holzrahmen und dieser saust mit seinen 300 Kilo in die Tiefe, prallt ins Sägemehl, wird aber sofort von einem der beiden Schlegel erfasst, wieder in die Höhe gehoben, bis der Schlegel sich soweit um die Achse gedreht hat, dass der Rahmen den Halt wieder verliert, hinuntersaust, dort vom anderen Schlegel erfasst und erneut in die Höhe gehoben wird. Alle zwei Sekunden schnellt der Rahmen in seiner Halterung hinunter und mit ihm das Sägeblatt. Auf und ab und auf und ab … Das Klopfen ist weitherum zu hören, weshalb die Schlegelsäge im Volksmund auch Klopfsäge genannt wurde.
Der Wellbaum mit den rotierenden Holzrollen – den Schlegeln
Es ist Zeit, wieder hinauf ins obere Geschoss zu gehen. Dort sieht man nicht nur die Auf- und Abbewegung des Sägeblatts in seinem Rahmen, sondern entdeckt auch ein hölzernes Zahnrad. Es lässt den Sägeschlitten mit dem eingespannten Holzstamm langsam, langsam vorrücken – immer nur so viel, wie das Blatt zu sägen vermag. Um einen fünf Meter langen Stamm von 40 Zentimetern in drei Zentimeter dicke Bretter zu sägen, braucht es etwa fünf Stunden, sagt Müller. Die Zeit eingerechnet, um den Stamm nach jedem Schnitt neu zu positionieren.
«Das primitivste System»
Bereits 1912, als die Schlegelsäge noch voll in Betrieb war, erkannte Pater Beda Anderhalden aus Sarnen, wie einzigartig diese Sägerei sei und wie schnell sie der technologische Fortschritt überflüssig machen werde. In seiner Studie über Wasserkraftanlagen im Kanton Obwalden schrieb er: «Sie wird in einigen Jahren verschwunden sein; darum rechnen wir es zur Pflicht an, dieses ohne Zweifel primitivste System einer mit Kraft betriebenen Säge vor der Vergessenheit zu bewahren.» Wie Recht sollte er haben. Anfangs der 1960er Jahre wich die Sägerei einer Schreinerei und die alte Einrichtung wurde abgebaut, die Einzelteile in einem Dachstuhl in Giswil eingelagert.
Erst im Jahr 2000 besannen sich drei Giswiler aus der kurz zuvor gegründeten Heimatkundlichen Vereinigung der alten Schlegelsäge. Sie stöberten die eingelagerten Teile auf und standen zuerst ein bisschen da, wie der Esel am Berg – nämlich ohne die geringste Ahnung, wie man aus den eingelagerten Teilen die alte Schlegelsäge rekonstruieren könnte. Zwar hatte der letzte Besitzer, ein gewisser Josef Berchtold, einen Plan der Säge hinterlassen, aber so richtig schlau wurden die drei Giswiler erst, als sie eine noch bestehende Schlegelsäge im Schwarzwald besucht hatten.
Zuhause im Sarneraatal mussten sie dann erst einen neuen Standort finden, um das verschwundene Werk wieder auferstehen zu lassen. Am alten stand erstens nun die Schreinerei und zweitens führte das Wissibächlein unterdessen zu wenig Wasser. Am Altibach, 250 Meter südöstlich vom ursprünglichen, baute die mittlerweile gegründete Arbeitsgruppe Schlegelsäge im Jahr 2002 das neue Sägereigebäude und zwei Jahre später nahm sie das Werk nach insgesamt 6000 Stunden geleisteter Fronarbeit in Betrieb. Einige Maschinenteile konnten wieder verwendet, die meisten mussten aber orginaltreu nachgebaut werden.
Die Arbeitsgruppe besteht nach wie vor und ist auch Ansprechpartner, wenn man die Schlegelsäge besichtigen will. Eines oder zwei der Mitglieder erwarten die Gäste dann an der Panoramastrasse, die von Giswil nach der Mörlialp und weiter nach Sörenberg führt. Sie lassen die Schlegelsäge laufen und sägen Bretter. «Das gibt Haglatten», sagt Erwin Müller, «für die Weidezäune auf den Alpen.»