Der Segen des Hagels

Zerstörte Pflanzgärten, verbeulte Autokarosserien und überflutete Strassen – das war die Bilanz des Unwetters vom 13. Mai mit golfballgrossen Hagelklumpen in Freiburg. Ilse Reiter war auch betroffen.

Ilse Reiter Ilse Reiter, ganz hinten, wartet auf dem Flughafen Diagoras in Rhodos auf ihren Koffer.

Sie ist eine Schnelle. Eine Tiffige, kann man sagen. Sitzt als eine der ersten im Flugzeug. Auf dem Platz am Mittelgang allerdings und das heisst, dass sie wahrscheinlich nochmals aufstehen und Leute sich durchzwängen lassen muss, die an den Plätzen beim Fenster sitzen.

Als die dann tatsächlich kommen, raunzt sie den Mann auch schon mal an. «Geben Sie auf meine Tasche acht», zischt ihm Ilse Reiter zu, der sich an den Fensterplatz schiebt. «Mein Knie!» keift sie, als die Frau sich zwischen sie und den Mann am Fensterplatz schiebt.

Dann schweigt sie. Doch der Flug dauert drei Stunden und Frau Reiter wird gesprächig. Ein grosser Teil des Lebens zieht hoch über den Wolken an ihren Sitznachbarn vorbei. Viele Jahre ihres Lebens hat Ilse Reiter auf Rhodos, wo das Flugzeug nun hinfliegt, verbracht. In der Tourismusbranche. Jetzt lebt sie von der Rente, in Freiburg. Nicht gerade üppig. Sagt sie. In Griechenland konnte man schon damals nicht reich werden.

Sie hat so gern Süsses. Unglaublich gern. Eigentlich wollte sie erst im Herbst wieder nach Rhodos fliegen. Sie hat dort Freunde, bei denen sie leben kann. Die freuen sich immer. Unsäglich freuen die sich jeweils.

Kräftig zugelegt

Seit sie mit dem Rauchen aufgehört hat, hat sie kräftig zugelegt. Letzthin hat sie zum Geburtstag Freunde eingeladen, die sie schon lange nicht mehr gesehen hat. Da hat eine auf ihren Bauch gezeigt und gesagt, jaja, du hast schon ganz schön was drauf. Wegem dem Süssen halt, das sie so gern hat.

Ihre Freunde auf Rhodos, bei denen sie in den nächsten zwei Wochen unterkommen wird, wissen nicht, dass sie im Anflug ist. Sie hat niemandem was gesagt. Es ist sogar für sie selbst ein bisschen eine Überraschung.

Als der Hagel so wütete am 13. Mai bei ihr zuhause in Freiburg, da hat’s auch ihren Wagen in Mitleidenschaft gezogen. Kleine Dellen zwar nur, man sieht sie kaum von blossem Auge. Aber ihre Nachbarin hat gesagt, Du Ilse, melde das dem Schadensexperten. Sie selbst wäre gar nicht auf die Idee gekommen, aber die Nachbarin hat gesagt, du zahlst für die Versicherung und hast ein Anrecht darauf. Sie war dann eine der ersten, die sich gemeldet hat.

Das Geld haben die auch umgehend ausbezahlt. Obwohl man dem Wagen von blossem Auge kaum was ansieht. Sie hat sich dann gleich das Ticket nach Rhodos gebucht mit dem Geld, das ihr der Hagel so unerwartet zugespielt hat. Zwei Wochen zwar nur, früher hat sie ja fast das ganze Jahr dort gelebt. Und ihre Freunde werden Augen machen, wenn sie unerwartet vor der Türe steht.

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