Bericht von einer der letzten Generalversammlungen der Landwirtschaftlichen Trocknungsanlagen AG in der Schiessanlage Schürfeld.
Einvernehmlich bis zum Schluss: Generalversammlung der Baselbieter Trocknungsanlagen.
Liebe Geschwister, nachdem wir unser Erbe einvernehmlich aufgeteilt haben, verbleibt in unserer Erbengemeinschaft als einzige Preziose nur noch eine Wertschrift zurück: die beiden Aktien der LTA AG Pratteln (Landwirtschaftliche Trocknungsanlagen) à je 500 Franken. Wir sind neben der familiären Verbundenheit also weiterhin als Aktionärinnen resp. Aktionäre miteinander verbandelt. Aber wie lange noch?
Ich habe heute das Vergnügen wahrgenommen, an der 63. ordentlichen Generalversammlung der LTA AG teilzunehmen und erstatte hiermit Bericht, damit Ihr aus erster Quelle erfahrt, welch historische Wende sich bei dieser Gesellschaft abzeichnet.
Die Versammlung begann pünktlich um elf im einen Saal der Gemeinschaftsschiessanlage Schürfeld zwischen Aesch und Ettingen. Mir war etwas eng ums Herz, als ich in diese fremde Gesellschaft eintrat, doch ich wurde gut aufgenommen. Ritter Max aus Wenslingen erkannte mich sofort, stellte mich den Umstehenden vor und lud mich ein, mich neben ihn zu setzen. So sass ich denn zwischen ihm und einem Herrn Würgler und konnte immer fragen, wenn mir etwas unklar war.
«Gedanklich bei uns»
Der Vizepräsident des Verwaltungsrats, Willi Fischer aus Riehen, der mir dann später sagte, wir seien per Du, eröffnete die Generalversammlung an Stelle des erkrankten Präsidenten Gregor Gschwind, der aber, wie Willi Fischer den Anwesenden versicherte, «gedanklich sicher bei uns ist». Willi Fischer sagte, dass 49 Personen anwesend seien (ich erkannte darunter fünf Frauen), die 31 Prozent des Aktienkapitals vertreten würden. Er sagte auch, dass offen abgestimmt würde, falls niemand Einwände dagegen habe. Was nicht der Fall war.
Ich kann Euch mitteilen, dass alle Abstimmungen zu den neun Traktanden mit grossem Mehr ohne Gegenstimmen im Sinne des Verwaltungsrats entschieden wurden. Es herrschte also grosse Einigkeit, und dem Verwaltungsrat wurde die Decharge auch einmütig erteilt. Das ist insofern nicht erstaunlich, als dass sich der Verwaltungsrat sehr grosszügig zeigte. Er stellt eine Dividende von 20 Prozent in Aussicht. Ich weiss allerdings nicht genau: 20 Prozent von was? Natürlich habe ich mich bei Ritter Max erkundigt, und er erklärte es mir auch, aber ich bin nicht ganz drausgekommen, was wohl damit zu tun hat, dass ich noch nie irgendeine Aktie besessen habe. Und ich genierte mich dann, weiter nachzufragen – aus Bange, als Trottel dazustehen. Ich vermute aber, es seien 20 Prozent vom Wert unserer beiden Aktien. Ergäbe also 200 Franken. Nun muss dann nur noch jemand von uns die Coupons auf der Bank einlösen. Aber auf welcher und wo findet man wohl diese Coupons?
Jedenfalls: Ein kleiner Zustupf an die Rechnung für unser nächstes Familientreffen winkt bereits.
Doch es kommt noch besser. Oder schlechter – je nachdem, wie man es anschaut.
Auch Ricola trocknet anderswo
Es ist nämlich so, dass die letzte der einst vier Trocknungsanlagen – jene in Aesch, die nur 50 Meter unterhalb der Schiessanlage Schürfeld steht, wo wir tagten – im vergangenen Jahr zum letzten Mal getrocknet hat. 18 Tonnen mehr als im Vorjahr zwar. 1134 Tonnen insgesamt. Es bräuchte aber 2000 Tonnen, um die Kosten zu decken. Die Bauern haben halt auf Futterballen umgestellt, und Ricola trocknet seine Kräuter auch schon längst nicht mehr im Schürfeld.
Mit anderen Worten: Der Betrieb wird eingestellt. Jakob Lanz, der Geschäftsleiter von LTA, der in Pension ist oder geht, berichtete das emotionslos. Das Kapitel Trocknungsanlage gehört Ende dieses Jahres endgültig in die Geschichtsbücher. Das ist die betrübliche Nachricht. Sie geht nahtlos über in die andere, welche die Generalversammlung positiv aufnahm, weil sie am Anfang der erfreulichen Dividende steht. Ohne Zukunft braucht es auch keine Reserven, weshalb man diese nun an die Aktionäre ausschütten kann.
Weiter: In grosser Einmütigkeit ist die Generalversammlung zusammen mit dem Verwaltungsrat der Ansicht, dass die LTA AG sich nicht in einem anderen Tätigkeitsfeld engagieren soll. Also: Wenn schon nicht mehr getrocknet wird, dann soll man das Tätigsein ganz sein lassen. Es braucht die LTA AG also nicht mehr, und sie wird liquidiert. Fürs Liquidieren ist es aber noch zu früh, weil die Gesellschaft noch drei grosse Gebäude besitzt. Sie werden in den nächsten Wochen und Monaten verkauft – an wen durfte Willi Fischer nicht sagen, weil die Verhandlungen noch laufen. Die Liegenschaft im prosperierenden Gewerbegebiet von Muttenz dürfte einen schönen Batzen abwerfen, der dann auf die Aktionäre verteilt wird.
Ich vermute fast, dass wir mit dem Erlös unseres allerletzten Erbstücks dann einen grossen Teil des übernächsten dezemberlichen Familientreffens berappen können und stelle mir vor, wie unser Vater uns dann schelmisch blinzelnd zuprosten wird.
Fruchtfliege, Wallwurzsalbe und die Angst der Maya Graf
Falls Ihr bis hierher gelesen habt, habt Ihr wohl fast so viel Zeit gebraucht, wie die Generalversammlung gedauert hat. Um Viertel vor zwölf war Schluss und im anderen Saal gedeckt. Die Stimmung war gelöst, man duzte sich rundum. Ich sass wieder bei Ritter Max, am Tisch waren noch Andi Hoffmann aus Sissach, Heidi und Ueli Gass aus Oltingen und andere, und es gab gemischten Salat zur Vorspeise, dann Cordon bleu mit Pommes frites, eine Himbeerkugel in einer Kirschsauce, und es dauerte bis halb drei. Getränke frei.
Wenn Max Ritter heute Abend nicht 35 Aussendienstmitarbeiter einer Versicherung auf dem Leimenhof bewirten müsste, sässen wir wohl immer noch im Schürfeld und ich wüsste noch viel mehr über die neueste Fruchtfliege, über den Bammel der Maya Graf vor den nächsten Wahlen, über Florence Brenzikofers Erziehungsmethoden, über die tiefen Milchpreise, über Wallwurzsalbe, über den Glasbläser in Nusshof und über das Problem unseres Cousins Werner, der sich nicht mehr traut zu seiner Schwester Trudi von Wenslingen nach Reigoldswil zu fahren, weil er die vielen Verkehrskreisel fürchtet.
Trocknungsanlage Aesch: Ende Jahr fällt das Gebäude an die Christoph-Merian-Stiftung zurück, von der es die LTA AG im Baurecht übernommen hat. Und die Maschinen da drin? VR-Vizepräsident Willi Fischer: «Sie werden verkauft, verschenkt, verschrottet – ich sag es jetzt grad mal so drastisch.»