Die Perversion des Kunstmarkts multipliziert mit der Perversion der Reichtumsverteilung dividiert durch 1,5 Gauguin ergibt eine Summe, die Griechenland dem Währungsfond zurückzahlen muss.
So sehen 300 Millionen Dollar aus: Besucher in der Fondation Beyeler schauen Gauguins «Nafea» an.
Die Sätzchenrechnung da oben ist etwas komplex, doch man kann es auch mit einem Geschichtlein versuchen: Zur gleichen Zeit, als ein damals unbekannter Paul Gauguin in Frankreich so ums Jahr 1870 erkennen musste, dass er zum Marinesoldaten nicht taugte, verliess im nördlichen Nachbarland Deutschland ein gewisser Gregor Staechelin, ebenfalls noch unbekannt, das Dorf Istein und schaute sich in Basel nach Arbeit um. Er war Maurer, mittellos, aber so tüchtig, dass er Jahre später seinem Sohn Rudolf die ansehnliche Immobilien- und Finanzfirma Staechelin&Co übergeben konnte. Der gescheiterte Marinesoldat Paul Gauguin war weit weniger erfolgreich. Er fand eine Arbeit als Bankangestellter und malte hobbymässig Bilder. Er machte dann das Hobby zum Beruf, was der Existenz seiner Familie allerdings nicht zuträglich war. Gauguin lernte zeitgenössische Künstler kennen, verehrte sie, verkrachte sich mit einigen von ihnen und wurde einer der ganz grossen Maler.
Auch Rudolf Staechelin in Basel, der vom Vater die Immobilien- und Finanzfirma geerbt hatte, lernte Künstler kennen. Er war Kunstliebhaber und erwarb sich gar manches Bild: von Picasso, Cézanne, Pissarro, von van Gogh oder eben von Paul Gauguin – zum Beispiel «Nafea faaipoipo», das zur Zeit in der Fondation Beyeler ausgestellt ist. Zwei bekleidete, junge Tahitierinnen in einer ursprünglichen Tropenlandschaft sind da in kauernder Stellung in warmen, harmonischen Farben gemalt. Paul Gauguins Ruhm wuchs nach seinem Tod ins Unermessliche, der Wert seiner Bilder desgleichen.
Picasso-Legende
Das freute die Staechelins wohl sehr. Sie gehören zu jener Sorte von Dynastien, die nach dem Muster verlaufen: Der Vater stellt etwas auf die Beine, der Sohn baut es aus und ab dann geht’s bachab und verludert. Ein Tiefpunkt war 1967 erreicht, als die Basler Fluggesellschaft Globe-Air nach einem Flugzeugabsturz in Zypern in Konkurs ging. Der Hauptaktionär war einer dieser Staechelins, der sich in seiner misslichen Lage der teuren Bilder seines Vaters erinnerte, und Käufer suchte. Als er zwei ans Basler Kunstmuseum ausgeliehene Picassos zu Geld machen wollte, ging ein Aufschrei durch die Stadt. So laut, dass sich die Bürger ihrer Kunstsinnigkeit besannen und in einer legendären Volksabstimmung entschieden, die beiden Bilder mit Mitteln aus der Staatskasse zu kaufen.
Nein, das wäre heute nicht mehr möglich. Nicht etwa, weil die Bevölkerung der Stadt weniger an Kunst interessiert wäre. Und obwohl viele Kunstinteressierte es zutiefst bedauern, dass ein weiteres Gemälde, das die Staechelins ans Kunstmuseum ausgeliehen haben, aus der Stadt verschwinden wird. Paul Gauguins Nafea.
Schnäppchen für Prinzen und Prinzessinnen
Die Gier der Staechelins hat das Kunstwerk vernichtet, zerstört. Es ist zur Spekulationsware geworden, zum reinen Statussymbol, das bald einmal im Palast der Königsfamilie von Katar prunken wird. So nebenbei von Prinzen oder Prinzessinnen als Schnäppchen für angeblich 300 Millionen Dollar ergattert.
Die Summe ist konkret gar nicht so richtig fassbar. Es ist einfach so: Hätten die Griechen etwas mehr als anderthalb solcher Gauguins – um genau zu sein: 1,5 – könnten sie die Schulden, die sie dieser Tage dem Internationalen Währungsfonds zurückzahlen müssen, locker begleichen. Da sie aber keine 1,5 Gauguins haben, müssen sie das Geld unter anderem aus Sozialfonds zusammenkratzen. Die waren eigentlich mal für etwas anderes gedacht.
Und da gibt’s keine Zusammenhänge? Man sieht sie halt nicht so klar. Aber, bitte sehr, es ist auch ziemlich schwierig, diese Sätzchenrechnung zu lösen: Perversion des Kunstmarkts multipliziert mit Perversion der Reichtumsverteilung dividiert durch 1,5 Gauguin?