Eine Tages-Wanderung in Frankreich zeigt: Besseres Essen, knuspriges Brot – aber alles etwas schnoddriger hier, etwas unpersönlicher, oberflächlicher, eleganter zwar, aber unfreundlicher.
Nein, das Frühstück war noch nicht die Überraschung. Baguette, Butter, Konfitüre, ein besserer Kaffee als in den letzten Wochen, eine adrette, französische Bedienung, die ebenfalls einem Simenon-Krimi hätte entsprungen sein können. Ich gedachte, noch eine Nacht hier zu bleiben, heute mal wieder ohne schweren Rucksack loszuziehen und dann wieder hierher zurückzukommen. So wie ich es in Fort William getan hatte. Denn das Zimmer war noch frei.
Die Überraschung war der Weg durch die morgendliche Stadt: ein feiner Gemüsemarkt, ein Kleidermarkt, duftende Bäckereien, ein Käseladen mit einer riesigen Auswahl von Käsen und einem Besitzer, der auf jeden einzelnen stolz war. Kaufte mir ein Picknick ein – endlich wieder mal knuspriges Brot, frischen Käse, Salami und eine Pâte aus den Tierchen, die in England ständig rumhopsten – Pâte au Lapin.
Es war so, wie ich es mir etwa vorgestellt hatte: keine englischen Wanderwege natürlich, sondern kleine Teersträsschen, die ich mir aussuchte, die Karten relativ verlässlich zwar, aber doch recht oberflächlich. Frankreich mag in den Alpen Wanderwege haben, aber nicht hier in der Bretagne, auch wenn sie auf Prospekten angepriesen werden. Eine erste kleine Überraschung dann in Château-Malo: Zwei Burschen Gamins, siebzehnjährig etwa, schlenderten so rum, dass man ihnen ansah, dass sie Unsinn im Kopf haben mussten. Sie gingen vor mir her, machten vor einer Plakatwand halt und zogen ein Teppichmesser hervor. Ein Wahlplakat für das kommende Wochenende hatte es ihnen angetan, und ungeniert rissen sie daran. Ein silbergrauer Renault hielt, der Fahrer fragte, was das denn soll, und die beiden sagten, diese da gehöre sicher nicht ins Parlament nach Paris. Hell der eine, dunkelhäutig der andere, schauten sie dem Renault-Fahrer frech ins Gesicht und machten sich weiter ans Abkratzen des kommunistischen Wahlplakats. Der Renault fuhr los, mit kopfschüttelndem Fahrer.
Frankreich gegen Senegal
In St. Pere, es war Viertel nach eins, gedachte ich in der Dorfbeiz das WM-Eröffnungsspiel in Korea – Frankreich gegen Senegal – anzusehen. Die Dorfbeiz fand ich, die Wirtin war sehr nett, schenkte mir zur Cola eine Tüte schrecklicher Chips. Doch den Gästen wars nicht ums Fernsehen. Sie würfelten irgend ein neuartiges Fussball-Spiel und das Seltsame: Jeder der hereinkam, drückte allen die Hand. Auch mir. Ich trank aus und ging.
Weiter kleinen Teerstrassen entlang. Chateau-neuf d´Ille et Vilain. Eine kleine Bar, und da lief ein Fernseher. Null zu Null. Die Franzosen spielen überlegen, die Senegalesen frech. Der Wirt, ein Gast mit einem Baguette und Schweigen. Ein Copain des Wirtes kam mit einer Plastiktüte voller Muscheln, drückte allen die Hand, auch mir, und wollte einfach nicht in den Fernseher schauen, ärgerte sich über das Gegicke und sagte zum dicklichen, tränenbesackten Wirt: «Stell ein Podium hin, eine Striptease-Tänzerin drauf und dann guck ich schon hin. Aber das da!» Da schoss Dioup das 1 : 0 für Senegal und niemand ärgerte sich. Man schnödete über die Millionäre auf dem Rasen, über diese nichtsnutzigen Stars, über diese Zidanes, Henrys, Petits, über die Geldsäcke auf dem Rasen und war der Meinung, dass in unteren Ligen ohnehin mit weitaus grösserer Freude gespielt werde. In der Halbzeit war immer noch Eins zu Null.
Ich zog weiter, auf Nebenstrassen, Pleudihan, Richtung Dinan. Ein Hund bellte. Ich begann den Sommer zu ahnen, zog das Hemd aus, steckte mir eine Margueritte ins Gilet, der Mais knöchel-, der Weizen kniehoch, Kerbel im Wind, Hahnenfuss, alles sattgrün, die Gräser wiegten sich im Wind.
Französisches Picknick
Irgendwann meldete sich der Hunger, ich versuchte die Pâte, den Salami, genoss Brot und Käse – es war still im Land. Fragte Rino per SMS, wie der Match ausgegangen sei, und er meldete, dass Frankreich tatsächlich verloren habe.
On a honte, sagte mir einer. Einer, der mich ein Stück weit zurück nach St. Malo mitgenommen hatte. Der erste, der mich einige Kilometer weit hatte mitfahren lassen, war heftiger. «Die ärgern mich diese Senegalesen. Die ärgert mich noch lange.»
Und warum ich mich habe als Autostopper zurück nach St. Malo in mein Hotel fahren lassen? Habe an einer Bushaltestelle dem Bus abgepasst, zwanzig Minuten zu früh. Die Wartezeit überbrückte ich mit einem kleinen Gläschen, war zur Zeit zurück an der Haltestelle, der Bus kam, ich winkte, und der Fahrer muss sich gedacht haben, da steht normalerweise keiner. Er ist einfach weitergefahren. Eigentlich eine riesige Überraschung. In Schottland hält einer einen ganzen Zug an, auch wenn der Winkende noch ein rechtes Stück weg vom Bahnhof entfernt steht. Hier fährt der Buschauffeur einfach weiter, weil hier normalerweise keiner einsteigt.
Etwas schnoddriger hier, etwas unpersönlicher, oberflächlicher, eleganter zwar, aber unfreundlicher.
Und doch: Abends geniesse ich die Aussicht über dem Meer, die untergehende Sonne im Weinglas leuchtend. Das hat auch seinen Reiz. Meine neue Heimat ist schnoddriger und doch spannend. Und vom Zimmer aus hab ich der untergehenden Sonne zugeschaut. Zum letzten Mal im Mai ist sie ins Meer versunken, eine Spur nördlicher als gestern.
(St. Malo, 31. Mai 2002)
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Karte
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Quelle
Bildlegende
Abends wieder zurück nach St. Malo – was für ein Ausblick aus dem Zimmer.
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