Der Verleider nörgelt, 20. Mai 2002

Durness Sizilien 25

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Der Verleider nörgelt, 20. Mai 2002

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Der Verleider nörgelt, 20. Mai 2002

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zu Fuss durch Wales

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Es mochte nicht so richtig Stimmung aufkommen, heute. Eine sehr verlassene Landschaft, in der ich kaum jemanden treffe. Und wenn – dann eher sonderbare Leute.

Text

Am Montag ist dieses Newtown noch trostloser. Es sind kaum mehr Menschen auf der Strasse zu sehen. Unser Wirt muss gestern Abend noch tüchtig einen draufgegeben haben. Er versucht, fröhlich zu wirken, will jedenfalls scherzen. Aber er fängt die Sätze nur an, lässt sich durch irgendwas ablenken und weiss nicht mehr, wo er begonnen hat.

Wir ziehen an Weiden vorbei, an diesen britischen, einstöckigen Häusern, schmucklos hier, schmuckloser zumindest als an allen Orten, wo ich vorbei gekommen bin, immer wieder verlassene Höfe, eingebrochene Dächer, hohle Fensteröffnungen. Tiere, Schafe, Rinder. Keine Menschen. Träg gewölbte Hügel, hintereinander, nebeneinander, sich ineinander verschränkend, meist baumlos – das war die Landschaft den ganzen Tag über. Manchmal ein Tal mit einem Fluss, auch einmal ein See an dessen Ufern sich die Büsche und Bäume drängten. Als Moni einen Bus zurück nach Newtown bestiegen hat, um Auto und Rucksäcke zu holen, habe ich mich ziemlich verlaufen.
Bald ein Haus bei Cardiff
Wieder zurück an den See. Setze mich hin und schaue aufs Wasser. Weiter vorn ist ein Wohnwagen parkiert, mit offener Türe. Plötzlich trifft mich etwas am Kopf. Ich schaue zurück und da steht ein Kind. Spreche es an und es schaut mich an, als ob ich vom Mars käme. Dann taucht eine Frau auf und noch zwei Kinder. Die Kleinen sind alle barfuss, die Frau trägt Sandalen und etwas an ihrem rechten Knöchel irritiert mich. Ist das nur Schmutz oder eine schlechtgeheilte Wunde? So genau kann ich nicht hinstarren. Die Kinder verstehe ich nicht, die Frau schon.
Sie ist jung, wie ihre Kinder dünn, die Haut weiss. Durchsichtig, sagt man dem. So voller blauer Äderchen.
«Wir wohnen im Wohnwagen, aber nicht mehr lange», sagt sie. Bald werden sie in ein Haus bei Cardiff ziehen. Ihr Mann arbeitet in Cardiff. «Computer», sagt sie. «Er hat ein Auto», sagt sie und am Wochenende komme er hierher. Manchmal auch während der Woche. Das Haus bei Cardiff sei bald fertig und das alte haben sie schon verlassen müssen.
Ob er denn Computer verkaufe? frage ich. Nein, sagt sie, er arbeite in den Computern drin. «Wenn du einem Computer eine Frage stellst, gibt er eine Antwort. Mein Mann schaut dafür, dass er Antworten gibt.» Dann fragt sie, was in meiner Flasche drin sei. Ich sage Tee. Okay, sagt sie, Tee. Sie packt den Kleinen, der mir einen Stein oder sonst was an den Kopf geworfen hat, am Arm und geht weg. Die andern beiden folgen. Zurück zum Wohnwagen.
Ich breche ebenfalls auf. Fast bedrohlich winken plötzlich Windräder auf einem dieser nackten Hügel, aber immerhin geben sie die Richtung an, weisen mir den Weg, auf dem sonst niemand geht, niemand, kein Mensch, kein Auto.
Verfahren
Und irgendwann höre ich doch einen Motor, ein weisser Lieferwagen kommt von hinten und hält auf meiner Höhe. Der Fahrer bittet mich, ihm den Weg zu weisen, er habe sich auf diesen immergleichen Strassen verfahren. Ein Düngertransport. Der Mann am Steuer in löchrigem Wollpullover ist kaum zu verstehen. Ich sage ihm , dass ich es für das Beste halte, wenn er den eingeschlagenen Weg bis zur dritten Kreuzung einhalte, dann nach links abbiege, um am ehesten nach Llanidloes zu kommen. Ich hätte geradesogut «nach rechts» sagen können. Aber «nach links» schien mir irgendwie logischer.
Er fährt los, ich ziehe weiter und frage mich, ob Moni den Weg nach Llanidloes wohl finde, wenn das so schwierig ist. Gehe immer geradeaus und denke über diese Familie im Wohnwagen nach. Moni hat nicht nur den Weg gefunden, sondern auch eine Unterkunft. Alles etwas trüb und düster hier – manchmal scheint mir, irgendwo in mir nörgele der Verleider.
(Llanidloes, 20. Mai 2002)
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Karte

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Quelle

Bildlegende

Eher etwas bedrückend, die Landschaft und die Begegnungen zwichen Newtown und Llanidloes.

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