Ein Tag voll mit Historie, 15. September 2018

Speyer – Hamm: Nach dem Besuch am Grab Heinrichs IV. im fast tausendjährigen Dom zu Speyer finden wir einen Schlafplatz im ältesten Haus von Hamm, das in der grössten Rheinschleife zwischen Basel und Mainz liegt. So viel Superlative!

Hier ruhen neben anderen Heinrich IV. (hinten links) und Rudolf von Habsburg (vorn Mitte)

Wir starten mit einem klaren Ziel: Hamm. Dort steht die Pension zur Linde, ein schönes Schindelhäuschen, das Moni im Internet entdeckt hat und wo wir ein Zimmer reserviert haben. Zuerst allerdings geniessen wir ein Frühstücksspektakel. Die Servierfrau in unserem Hotel Alt Speyer, eine ausserordentlich freundlich und heitere Frau, die dunklen Haare zu einem Rossschwanz zurückgebunden, schafft es, in einer Anrichte, die kaum grösser ist als ein WC, dreissig Personen zu verpflegen. Und die dreissig Personen, das sei auch noch gesagt, sitzen in einem Raum von etwa fünf auf fünf Metern. Man sitzt sehr eng, was etwas auf die allgemeine Stimmung drückt, wenn die Gäste in den engen Verhältnissen etwas grantig werden und die meisten ein frisches Ei möchten. Hart und samtweich, wie die Gastgeberin sagt. Die samtweichen sind pochierte Eier. Es gibt auch andere Wünsche, die sie mit fröhlicher Gelassenheit erfüllt, skurrile. Und wenn sie es getan und zwischendurch jemanden mit einer anderen Konfitüre als der auf dem Tisch stehenden oder einem besonderen Frühstückssaft versorgt hat, ruft sie in den Saal: «So, jetzt machen wir wieder weiter mit die Eier.» Ein Gast ruft nach einem Spiegelei – doppelseitig gebraten. Sie erfüllt auch diesen Wunsch.

Später, als die anderen Gäste gegangen sind, erzählt sie Moni, dass sie Köchin gelernt habe, bei einer Hypnose vor einiger Zeit aber erfahren musste, dass sie zu anderen berufen sei. Nun macht sie auch Hypnosen, ist so eine Art Seherin und erkennt das Karma der anderen ziemlich schnell. Deshalb können ihr auch unangenehme Gäste wenig anhaben. So geht das in Speyer.

Wir kaufen ein paar Sachen ein in der Drogerie Müller und dann betreten wir den sehr, sehr eindrücklichen Dom. Ein von einem Orchester begleiteter Chor erfüllt den mächtigen Raum mit ergreifenden Chorälen. Moni hört hingerissen zu und ich besuche kurz das Grab von Heinrich IV., der den Dom fertig erstellt hat vor bald tausend Jahren und von hier nach Canossa gewandert ist, noch bevor die Urner die Teufelsbrücke gebaut haben, wenn ich das richtig zusammenbringe. Und auch das Grab von Rudolf von Habsburg liegt dort. Er soll – höre ich einen Fremdenführer einer Gruppe erzählen – von weit her nach Speyer gekommen sein, um hier zu sterben. Ganz soll er es nicht geschafft haben, aber liegen tut er jetzt trotzdem in der Speyerschen Gruft.

In einem Acker bei Ludwigshafen

Wir fahren dann los an Leuten vorbei, die sich samstäglichen Vergnügungen wie dem Gang zum OBI hingeben, gelangen vor Ludwigshafen in Gewerbe- und Industriegebiet, zwischendurch auch auf ein Stück Schnellstrasse, was die Autofahrer enerviert hupen lässt. Ich muss Moni versprechen, dass wir uns für eine künftige Radtour ein Navy-Gerät besorgen. Es kommt noch schlimmer: Wir stecken in einem Acker fest. Zurückfahren ist keine Option und vor uns liegt ein verschlammter Feldweg, der in der trockenen Öde nur deshalb so morastig ist, weil die Gemüsefelder offenbar stark bewässert werden. Kohlrabi wachsen, so weit das Auge reicht. Ein älterer Mann stapft zwischen ihnen herum. Er empfiehlt, den Acker weiter zu durchqueren, um nach Friesenheim zu gelangen. Eine weitere Schnellstrasse versperrt den Weg, wir hieven die Velos über deren Leitplanken, was wiederum Autofahrer zum Hupen veranlasst. Es taucht ein Café auf, wo wir die Verkäuferin fragen, wo es denn nach Friedensheim gehe. Sie zeigte in die Richtung, in die ich am wenigsten getippt hätte. Ihre Kollegin sagt: «Spinnst denn du!» und weist in eine andere Richtung, auf die ich auch nicht gesetzt hätte.

Das Handy-Navy, das wirklich nur für Notfälle taugt, zeigt dann den Weg. Nach Worms. Dort trinken wir vor dem Dom ein Weissweinschorle. Die Stadt gefällt uns jetzt nicht gerade sehr, obwohl ihr Name und ihr Ruf so viel versprechen. Vielleicht sind wir grad etwas in der falschen Stimmung, zudem ist der Platz vor dem Dom eine einzige Baustelle, weil auch da wahrscheinlich etwas Schönes entstehen soll, und zudem haben wir irgendwo in einer Ortschaft auf dem Land ein Zimmer gebucht. Es liegt ein gutes Stück Weg vor uns. Der ist dann aber schön. In einer sehr flachen und wie überall in diesem Sommer trocken-dürren Landschaft, wo die Äpfel noch immer am Boden vor sich hinfaulen, die Maisfelder entweder abgeerntet oder verdorrt in der Sonne stehen, rasen wir auf gediegenen Radwegen der Ortschaft Hamm zu, die in der grössten Schleife liegt, die der Rhein zwischen Basel und Mainz macht und die – wie wir erst später erfahren – doch etwas 2000 Einwohner haben soll.

In Filomenas Welt
Ein verschlafenes Nest. Die paar Spaziergänger haben keine Ahnung, wo eine angebliche Pension Linde stehen soll und zwar im ältesten Haus des Dorfes. Aber wir finden die Pension Linde. Gleichzeitig mit uns kommen auch die Gastgeber an, Filomena und Peter Bretzer. Sie waren mit dem Velo zum Baggersee zum Baden gefahren und hatten einen Zettel an die Eingangstüre gehängt, falls wir vor ihnen in der Pension eingetroffen wären.

Die Pension ist ein Traum! Ein altes Schindelhaus, Vaterhaus von Jakob Bretzer, der in einer ehemaligen Scheune seine Tischlerwerkstatt eingerichtet hat. Peter Bretzer und Filomena sind Sammler und Handwerker. Im leicht erhöhten Erdgeschoss haben er sie drei Gästezimmer mit Bad und einer Küche eingerichtet, die aussehen wie ein Museum. Fast alle Einrichtungsgegenstände – Schränke, Betten, Kommoden stammen von Flohmärkten und aus Hausräumungen – wunderschön restauriert und hergerichtet. Man zieht unverzüglich die Schuhe aus, wenn man den Gang betritt, so feierlich schön und ordentlich ist alles. Wir plaudern dies, plaudern das, sie zeigen uns den Kühlschrank, wo man sich bedienen kann und wo ein feiner Weisser bereitsteht.

Wir duschen und folgen der Empfehlung des Hauses, im «De Schambes» zu essen. Etwa dreihundert Meter weiter durch schmale Gassen, alle gesäumt von einstöckigen Häusern. Im „De Schambes“ ist zwischen Gasthaus und Scheune auf einem Kiesplatz gedeckt. Zum Apero bestellen wir einen Einer Weisswein, aber die stark geschminkte Serviererin, die etwas über sechzig Jahre alt zu sein scheint, von Gästen «Karola» – mit «K», wie einige behaupten, was aber vielleicht gar nicht stimmt, da sie sich im Internet mit «C» schreibt – gerufen wird und etwas kurze Jeans im Shabby-Look nicht nur mit Rissen, sondern auch mit Farbflecken trägt, sagt: «Das lohnt sich ja nicht.» Und bringt einen Zweier.

Verhöre, Triebtäter, Nutten
Der Salat ist vorzüglich, das Schnitzel danach auch und manchmal setzt sich Karola, die Serviererin hin und wir erfahren allmählich, dass sie Besitzerin des «De Schambes» ist. Auch zu uns setzt sie sich und erzählt ein paar Schwänke aus ihrem Leben. Bis zum 60. Geburtstag war sie Kriminalkommissarin für organisiertes Verbrechen in Karlsruhe, kam – weil das organisierte Verbrechen eben global aktiv ist – viel in der Welt herum und hat halt so manches erlebt. Von Verhören erzählt sie, von Triebtätern, die sich in Taucheranzügen an ihren Opfern vergingen, von Nutten und dass sie bei einem Einsatz ebenfalls für eine solche gehalten wurde und wie sie Fachfrau für ganz schwierige Gespräche mit Verbrechern geworden ist. Und jetzt führt sie das «De Schambes» und kann jederzeit aufhören, wenn es ihr nicht passt: «Dann werf ich den Schlüssel einfach weg.»

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