Eine Legende entsteht

Der Kinofilm «Der grosse Sommer» läuft bald an – der grossartige Mathias Gnädinger in seinem letzten Auftritt. In seiner ganzen Karriere hat er nur in einer einzigen Rolle versagt. Als er den Nazi Hermann Göring hätte spielen sollen.

GnaedingerDer grosse Mathias Gnädinger mit dem Waisenbuben Hiro – gespielt von Loïc Sho Güntensperger – im Film «Der grosse Sommer»

Es war ein frühsommerlicher Sonntag im Jahr 2004, als Schwager Herbi zur Hausräuke in Obstalden einlud. Seine Geschwister waren da, seine Glarner Freunde, seine Schauspielerfreunde und unter ihnen sein engster Vertrauter, Mathias Gnädinger. Das Wetter war super, der Wein floss reichlich, die Stimmung heiter. Man erzählte sich Anekdoten aus dem Leben, jene von Gnädinger waren natürlich besonders spannend. Immerhin war er Gnädinger. Mathias Gnädinger.

Die Dreharbeiten für den Hitler-Film «Der Untergang» lagen erst kurz zurück, die Erinnerungen daran bei Mathias Gnädinger noch sehr präsent. Er hätte den Hermann Göring spielen sollen in diesen Szenen, als es mit Hitler und seiner Entourage zu Ende ging. Besser gesagt: Er hat ihn gespielt. Aber es ist ihm abverreckt, dem Mathias Gnädinger. Grausam abverreckt, wie er erzählte in der sommerlichen Wärme vor dem Haus seines Freundes in Obstalden bei vielen Gläsern Wein. Gnädinger hatte keine Scheu vor Kraftausdrücken, im Gegenteil.

Ein einziges Blackout

Er war nicht nur ein ausserordentlicher Schauspieler, sondern auch ein fesselnder Erzähler. Und wir lauschten gebannt, wie er erzählte, dass ihm, der doch schon so viele Rollen gespielt hatte, bei den Dreharbeiten zum «Untergang» die Worte im Halse steckenblieben. Er versagte. Er hatte ein Blackout. Nicht nur eines. Mehrere. Eigentlich, Herrgott nochmals, ein einziges Blackout. Eine Totalblockade. All diese Schauspielergrössen: Bruno Ganz, Habich undsoweiter… Da fühlte er sich einfach nicht wohl. In diesem deutsche Getue. Er versagte. Er war ja sonst kein Weichei, aber in dieser Umgebung hats ihm die Sprache so verschlagen, dass man seine Rolle, die des Gestapo-Gründers und Judenmörders Hermann Göring, auf absolutes Minimum zusammenstreichen musste. Er hätte in Grund und Boden versinken wollen vor Scham.

So hat es Mathias Gnädinger erzählt, damals im Sommer 2004 in Obstalden. Und er versicherte, wie peinlich ihm das alles war. Wie schrecklich peinlich. Dieses Versager-Gefühl. Dieses verdammte Versager-Gefühl.

Und der Sommertag ging vorbei, die Flaschen leerten sich, einige übernachteten in Obstalden, die meisten fuhren irgendwie heim, gingen am Montag ihrer Arbeit nach. So tat es auch Mathias Gnädinger. Er drehte noch viele Filme, bevor er anfangs April 2015 unerwartet verstarb. Sein letzter – «Der grosse Sommer» – läuft, wie gesagt, in zehn Tagen an.

Dieser Satan

Der bevorstehende Kinostart bewegt die Medien. Klar. Man lässt sich was einfallen dazu, berichtet darüber, lobt, bewundert, gedenkt. Telezüri zum Beispiel strahlte ein Gespräch mit Gnädingers Witwe Ursula Zarotti und Grosser-Sommer-Regisseur Stefan Jäger aus. Ein schönes und berührendes Gespräch über den einfühlsamen und grossartigen Schauspieler Mathias Gnädinger.

Irgendwann kam die Rede auch auf das missglückte Engagement im Hitler-Film «Der Untergang». Für die Witwe Gnädinger war klar, dass sich Mathis nur schwer hineinleben konnte in diese Rolle des bösen Menschen Göring – das musste einfach schiefgehen. Und noch während sie um Worte rang, um dieses Versagen zu begründen, hatte der gewiefte Moderator Markus Gilli die zündende Idee. Er fiel der Witwe ins Wort und formulierte für die Geschichtsschreibunhg: Einen solchen Satan wie Göring konnte der Mathis einfach nicht spielen. Er, der sich sonst in jede Rolle hineinleben konnte – nein, der Matthias Gnädinger, die Lichtgestalt im Schweizer Film, nein, einen Satan wie Göring zuspielen, das brachte er nicht übers Herz:

Nun weiss ich zwar nicht, warum Matthias Gnädinger in seiner Rolle als Göring gescheitert ist: Weil er angesichts der Schauspielerprominenz und des deutschen Getues am Drehort vor lauter Respekt eine Totalblockade hatte, wie er damals im Sommer 2004 erzählt hat, oder weil er den Satan nicht zu spielen vermochte, wie es Markus Gilli auf Telezüri der Witwe Gnädinger in den Mund legte. Egal, die Version von Gilli ist viel schöner.

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