Das publizistische Profil

Einem Chefredaktor, der seiner Zeitung zu mehr Profil verholfen und sie publizistisch vorangetrieben haben soll, sind also höhere Weihen versagt worden. Vielleicht müsste man die BaZ mal eine Weile lesen, bevor man das vom Profil und der besseren Publizistik nachbetet.

suter - wagner

Zuviel Profil oder das falsche?

Nachdem sich die Aufregung um den künftigen Chefredaktor der NZZ gelegt hat, lässt sich feststellen, dass sich da etwas ziemlich Einmaliges in der Schweizer Mediengeschichte abgespielt hat. Wann ist es schon geschehen, dass der Aufstand einer betroffenen Redaktion, die Empörung von bürgerlichen Politikern und das Entsetzen von Lesern, die das Abonnement vorsorglich gekündigt haben, dazu geführt haben, dass ein halbwegs designierter Chefredaktor auf seinen Posten verzichten musste?

Sie alle, Redaktion, Politiker und Abonnenten – man könnte pathetisch auch sagen: die engagierte Zivilgesellschaft – hielten es für eine Zumutung, dass man ihnen einen Markus Somm, die «Edelfeder» von Christoph Blochers nationalkonservativer Bruderschaft, als Chefredaktor der NZZ vorsetzen wollte. Das nimmt man mal so zur Kenntnis und in Basel fragt man sich schon, wie man es verdient hat, dass dieser Somm seit vier Jahren der BaZ vorsteht. Pikanterweise weiss ausgerechnet der frühere Verleger der Basler Zeitung, Matthias Hagemann, wieso das geschehen konnte. Auf Facebook postet er: «Eines ist nach der erfolgreichen Abwehrschlacht der NZZ-Redaktion mit Hilfe von Sperrfeuer in den Sonntagsmedien klar: Wenn Markus Somm jemals einen neuen Job will, muss er oder ein ihm Nahestehender sich die betreffende Zeitung vorher kaufen.»

Der eine schwatzts dem anderen nach

Ist so viel Zynismus überhaupt möglich? Kaum – zu vermuten ist eher, dass Herr Hagemann, wie so viele in dieser Stadt, die Meinung vertritt, dass die BaZ unter Somm zwar zu einem SVP-Blatt geworden sei, publizistisch aber zugelegt und an Profil gewonnen habe. Das vom zusätzlichen Profil schwatzen einander mittlerweile Leute in der ganzen Schweiz nach, die bei genauerem Nachfragen dann aber eingestehen, dass sie das Regionalblatt gar nicht lesen. Und dass die BaZ unter Somm publizistisch zugelegt habe, behauptet auch Iwan Städler in seinem ansonsten einzigartigen und hervorragenden Portrait «Blochers Anhänger war auch schon Hausbesetzer» im Tages-Anzeiger.

Also: Die BaZ hat publizistisch zugelegt und an Profil gewonnen. Warum hat sie denn in den letzten Jahren im Vergleich zu anderen publizistisch offenbar bescheideneren, profilloseren und langweiligeren Blättern am dramatischsten an Auflage verloren?

Eher langweilig

Wohl darum, weil das Profil unterdessen nicht mehr aufregt, sondern langweilt:
– Kommt in der BaZ ein Sozialbezüger vor, ist er mit grösster Wahrscheinlichkeit ein Sozialschmarotzer.
– Ist einer ein Muslim, gefährdet er mit grosser Wahrscheinlichkeit und grundsätzlich unsere abendländische Ordnung.
– Klimawandel gibt es nicht.
– Wer den Begriff «EU» nicht als Schimpfwort verwendet, wird des Landesverrats verdächtigt.
– In Fukushima hats vor dreieinhalb Jahren eine Verpuffung gegeben.
– Ein Politiker ist grundsätzlich ein Halunke, besonders wenn er in einem Parlament oder in einer Regierung sitzt.
– Nucky Thompson aus der Serie Broadwalk Empire ist ein Feminist und Blaukreuzler im Vergleich zu jenem Mitglied der Chefredaktion, dessen Frauen- und Alkoholfantasien fast täglich ins Blatt entweichen.

Gut, das ist auch ein Profil. Und jene die sagen, die BaZ sei profilierter geworden, finden das offenbar gut. Unklar ist nur, wo man da die publizistische Steigerung erkennen kann.

4 Gedanken zu „Das publizistische Profil

  1. Sehr gut! – Aufschlussreich ist auch immer wieder die „Sprachregelung“ vor dem Vorhang gegenüber der Oeffentlichkeit, um zu verbergen, was dahinter vor sich geht. Zunächst ein technokratischer Kommentar der Konkurrenz „Tages Anzeiger“ , worin wolkenhaft nicht begründet, gar Verständnis dafür aufgebracht wird für den unfreiwilligen, dennoch würdigen Abgang von Markus Spillmann in Tränen: Als wäre dieser eben noch publizistische Gesamtleiter der NZZ-Medien nicht mehr der richtige Mann zur rechten Zeit, sondern schon ein Alter im Onlinen-Zeitalter… Dann ein seltsamer Lobgesang auf den scheidenden Chef in der NZZ selbst, also ausgerechnet von jenen, die ihn entliessen. Was grundsätzlich verdächtig ist, nach der harten, demütigenden Peitsche „no ä chlises Zückerli“… Dann die interne Ansprache des NZZ-Verwaltungsratspräsidenten Jonod an die NZZ-Redaktion, worin wieder von unterschiedlichen „verlagstechnisch-strategischen“ Differenzen geschwafelt wird… Bis endlich ans Licht kommt, was wirklich Sache ist: Ein Coup, ein Uebernahmeversuch der politischen Rechten der Schweiz (Martin Ebner, Thomas Matter, Christoph Blocher und nun auch ein welscher Gesinnungs-Copain Jonod) auf die inhaltlich objektivste, wertvollste und einflussreichste Zeitung der Schweiz, um die intellektuelle freie Debatte im Sinne deren langen Marsches zum Neoliberalismus mit einem nationalkonservativ plumpen Mäntelchen zur Mobilisierung von Wählern zu befördern. Markus Somm war in diesem Szenario offensichtlich schon längst vorgesehen als neuer Statthalter an der Falkenstrasse. Umso erstaunlicher, dass sich die freie Presse in diesem Fall gegen den Angriff der Rechten zunächst hat durchsetzen können. Wunderbar auch die spontane Reaktion der NZZ-Leserschaft. Es gibt vorläufig also immer noch ein demokratische Mehrheit in der Tradition der Aufklärung. Leider muss man dennoch befürchten und wachsam bleiben: In der SVP-Zentrale am Villenhügel in Herrliberg heisst es wohl: Diese Schlacht ging verloren, aber nicht der Krieg!“ – der publizistisch-ökonomische Krieg um nicht nur die Meinungs-Herrschaft in der CH!

  2. Lieber Urs

    Warum wird eigentlich nie erwähnt, wann und warum die BaZ so viel Auflage verlorren hat? Schuld war ja diese „Rettet Basel“-Kampagne des Berner Autors, als bekannt wurde, dass die Zeitung Blocher gehört. Und nicht Somms Leitartikel. Ein Detail, aber kein unwichtiges……denke ich.

    Gruss

    Heinz

    1. Ja, lieber Heinz, da begeben wir uns nun doch schon in philosophische Sphären – dorthin, wo auch die Frage angesiedelt ist, ob nun das Huhn oder das Ei zuerst waren.

      Mit bestem Gruss

      Urs

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