Eine Frage der Haltung

… … … … … … … (also gut, dann komme ich dem Wunsch, den heimliche Werkstattbesucher auf Zettelchen hinterlegen, nach und lege ein paar Ausschnite aus dem nächsten Kapitel der Wildwestwolke vor. Aber: Die Absurdität der Kapriolen einiger Figuren ist so gross, dass sich Parallelen zu realen Personen abwegig sind. Und ich wüsste auch von keiner Stadt, in der ein Bäckermeister Räumlichkeiten vis-à-vis des Regierungsgebäudes vermietet hätte …) … … … … … … … … … … … …

Tausendfüssler

… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …Im Bereich der modernen Medien outet sich der Banause zum Beispiel dadurch, dass es im ihm völlig egal ist, ob er mit PC oder mit Mac arbeitet. Ich kann weder für Mac noch für PC besondere Gefühle entwickeln und verhielt mich entsprechend ruhig bei den heftigen Disputen unter all den Fachgruppen und –teams, die doch erhebliche Zeit darauf verwendeten, ihre Glaubenskriege auszutragen. Mich erinnerten die Debatten ein wenig an die Jugendjahre, als wir Kleinen im Schwimmbad dem Streit der Grossen zuhörten, die sich anschrieen, weil die einen die Beatles besser fanden und die anderen die Rolling Stones. Ich hatte den Unterschied damals nicht begriffen, denn ich stand zu jener Zeit eher auf Wenke Myhre. Auf einem Schallplattencover trug sie einen enorm kurzen Minirock.

Da auch Geschäftsleiter Kalt und ich uns stillschweigend geeinigt hatten, immer mit einer Stimme zu sprechen, kanzelte dieser mich auch nicht in einer dieser offenen Debatten sondern unter vier Augen ab wegen meiner Gleichgültigkeit in der Frage Mac/PC. Ich müsse endlich begreifen, dass ich nun in einem online-Betrieb arbeitete, bei dem das Interesse auch an der Hardware fürs unabdingbare Engagement unabdinglich sei. Ich sagte ihm, dass ich das absurd fände. Wir hätten uns im engen Kreis doch schon längst für Mac entschieden. Er habe ja bereits einen entsprechenden Vertrag unterzeichnet und rootsstudio habe die Basis Mac zur Bedingung erklärt.

Darum gehe es nicht, herrschte mich Geschäftsleiter Kalt an. Er habe seinen Plan, ja – Mac sei gesetzt. Aber man müsse jetzt Offenheit und Haltung zeigen. Offenheit in der Debatte und Haltung zu Mac.

Wir sassen uns in einem dieser grossen Räume der Villa Allesgeht gegenüber, die … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …

Der Platz Kalt gegenüber war aber vorgesehen für Gregor Zampanini, den kreativen Freigeist, der in der Wohnung der Fee in ausgelatschten Socken zu wandeln pflegt und der in der Villa Allesgeht allerdings nur selten anwesend war. Eigentlich hatte er sich einmal dahingehend geäussert, dass er sich nun nicht mehr wesentlich einmischen wolle, nachdem er das Vorprojekt und auch ein Stück weit das Projekt erfolgreich lanciert hatte. An seinem Arbeitsplatz in der Villa Allesgeht werde er in nächster Zeit vor allem darüber nachdenken, wie die Digitalisierung die Wirtschaftswelt nachhaltig verändern werde und welche Schlüsse man zum Wohle der Menschheit aus diesen Veränderungen ziehen müsse. Die Villa Allesgeht, so beteuerte er immer wieder, könnte zu einem Zentrum des neuen Denkens werden. … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …

Ich nickte heftig, da mir das alles ja so unglaublich klar war und natürlich auch in der Hoffnung, dass Zampanini sich nun wieder ans Nachdenken mache und zwar ans lautlose Nachdenken. Aber er war noch nicht soweit. Ihm schien offenbar, dass ich seine Ausführungen möglicherweise nicht ganz verstanden haben könnte. Eine Eingebung hatte ihn getroffen, eine ziemlich lustige, denn er kicherte, … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … ….

Der Umstand, sagte er, dass seine Frau am letzten Wochenende keinen passenden BH gefunden habe, habe ihn zum Nachdenken angeregt. Oha, dachte ich, jetzt wird es ein bisschen gar vertraulich, und ich bemühte mich, einfach interessiert zuzuhören. Und Zampanini, nachdem er den nun etwas frivolen Einstieg geschafft hatte, wurde ganz sachlich. Es sei doch ein Affront gegenüber der Natur, dass der Textilindustrieterror nur gerade fünf Körbchengrössen bereitsstelle, in welche die ganze mannigfaltige Pracht der weiblichen Rundungen hineingepresst werde. Die Digitalisierung ermögliche es jetzt zumindest theoretisch, die Daten der weiblichen Brust genau zu erfassen, sie in Produktionsmaschinen einzulesen, die dann die genau passenden Stoffe schneide, vielleicht sogar zusammennähe und vor allem auch kostenlos das Wissen in die hintersten Winkel der Slums verbreite, wie man individuelle und passende BH’s und überhaupt alle erdenkbaren Güter herstelle. Es entstehe zusehends ein digitales Allgemeingut, welches die bisherigen Arbeitsbedingungen kolossal über den Haufen werde, die Menschen auf der ganzen Erde vernetze und sie so eigenständig mache, dass sie sich vom Kapital empanzipieren.

Ich hatte dem wenig entgegenzusetzen, was aber – zu meiner Entlastung – auch dem Umstand zuzuschreiben war, dass ich etwas in Eile war. Ich hatte zusammen mit Geschäftsleiter Kalt und Rico Wind einen Termin für die Besichtigung von Büroräumlichkeiten wahrzunehmen. … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …

Möglichst zentral in der Stadt sollte die Redaktion angesiedelt sein. Ein ganz wenig repräsentativ dürften die Räume schon sein, sagten wir uns, denn wir wollten ein alternatives Schmuddel-Image gar nicht erst entstehen lassen. In der Villa Allesgeht wurde im Erdgeschoss ein Secondhand-Geschäft frei, das zumindest für einen Teil der Redaktion Platz geboten hätte. Kalt, Rico Wind und ich waren uns aber einig, dass dies keine Option sei. … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …

Zu unserem Erstaunen stellten wir fest, dass so etwas wie Ausverkauf herrschte in Sachen Büroräumlichkeiten. … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …

Schräg vis-à-vis vom Regierungsgebäude vermietete ein Bäckermeister den ersten und zweiten Stock seiner Liegenschaft. Ebenerdig gehörte sogar ein kleiner Raum dazu, den wir als Kundencenter hätten einrichten können. Wir waren hellbegeistert. … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …

Der Bäckermeister, Besitzer der Liegenschaft, versicherte uns, dass wir uns die Sache in Ruhe überlegen könnten, es eile nicht mit dem Vertragsabschluss. Wir nutzten diese Grosszügigkeit, um auch andere Räumlichkeiten anzuschauen. … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …

Als der Secondhand-Laden in der Villa Allesgeht schneller als erwartet das Lokal im Erdgeschoss mit Blick auf den Bahnhofplatz geräumt hatte und leer stand, sahen Rico Wind und ich unseren Geschäftsleiter Kalt mehrmals mit den Betreibern der Villa in diesem Raum stehen. Eines Montags sass er drin an seinem Schreibtisch. Er hatte übers Wochenende gezügelt. Kalt sagte uns, dass ihm die Kreativwirtschafter im ersten Stock etwas arg viel Lärm gemacht habe. Hier unten könne er sich besser konzentrieren. … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …

Wir inspizierten hin und wieder die künftigen Büroräume vis-à-vis vom Rathaus. Geschäftsleiter Kalt hatte bereits einen Schlüssel erhalten. … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … beugten wir uns über die Pläne der künftigen Redaktionsräume und richteten sie planmässig ein.

Zu unserem Entsetzen eröffnete uns Kalt an einem Montagmorgen zwei Monate vor dem Start der Wildwestwolke, dass der Bäckermeister sich anderweitig entschieden habe. Er könne uns die Räumlichkeiten nicht vermieten. Ein Hammerschlag, die Stimmung im Eimer. Rico Wind und ich anerboten uns, den Bäckermeister aufzusuchen, um ihn umzustimmen. Kalt sagte, dies sei vergebliche Mühe, er habe alles versucht.

Einige Tage später teilte er dann mit, dass er kurzfristig einen Vertrag mit der Villa Allesgeht habe abschliessen können. Vom Standpunkt der Räumlichkeiten her stehe dem Start der Wildwestwolke nun nichts mehr im Weg, man könne sich voll auf die Vorbereitungsarbeiten konzentrieren.

Dem Bäckermeister begegnete ich einige Monate später anlässlich von Feierlichkeiten des örtlichen Gewerbeverbands. Da seine Räumlichkeiten immer noch zur Vermietung ausgeschrieben waren, fragte ich ihn, weshalb er uns nicht habe unter Vertrag nehmen wollen. Er staunte mich erst verständnislos an und wandte sich dann ab, anderen Gesprächspartnern zu. Später, beim Apéro jenes Anlasses, tippte er mich an die Schulter und fragte, ob er mich richtig verstanden habe: «Ich soll abgesagt haben?» … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …

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